Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Über den Gartenkalender auf das Jahr 1795

Tübingen bei Cotta 

   Seit den Hirschfeldschen Schriften über die Gartenkunst ist die Liebhaberei für schöne Kunstgärten in Deutschland immer allgemeiner geworden, aber nicht sehr zum Vorteil des guten Geschmacks, weil es an festen Prinzipien fehlte und alles der Willkür überlassen blieb. Den irregeleiteten Geschmack in dieser Kunst zu berichtigen, werden in diesem Kalender vortreffliche Winke gegeben, die von dem Kunstfreund näher geprüft und von dem Gartenliebhaber befolgt zu werden verdienen. 

   Es ist gar nichts Ungewöhnliches, dass man mit der Ausführung einer Sache anfängt und mit der Frage: „Ob sie denn auch wohl möglich sei?“, endigt. Dies scheint besonders auch mit den so allgemein beliebten ästhetischen* Gärten der Fall zu sein. Diese Geburten des nördlichen Geschmacks sind von einer so zweideutigen Abkunft und haben bis jetzt einen so unsichern Charakter gezeigt, dass es dem echten Kunstfreund zu verzeihen ist, wenn er sie kaum einer flüchtigen Aufmerksamkeit würdigte und dem Dilettantismus zum Spiel dahingab. Ungewiss, zu welcher Klasse der schönen Künste sie sich eigentlich schlagen solle, schloss sich die Gartenkunst lange Zeit an die Baukunst an und beugte die lebendige Vegetation unter das steife Joch mathematischer Formen, wodurch der Architekt die leblose schwere Masse beherrscht. Der Baum musste seine höhere organische Natur verbergen, damit die Kunst an seiner gemeinen Körpernatur ihre Macht beweisen konnte. Er musste sein schönes selbständiges Leben für ein geistloses Ebenmaß und seinen leichten schwebenden Wuchs für einen Anschein von Festigkeit hingeben, wie das Auge sie von steinernen Mauern verlangt. Von diesem seltsamen Irrweg kam die Gartenkunst in neuern Zeiten zwar zurück, aber nur, um sich auf dem entgegengesetzten zu verlieren. Aus der strengen Zucht des Architekts flüchtete sie sich in die Freiheit des Poeten, vertauschte plötzlich die härteste Knechtschaft mit der regellosesten Lizenz und wollte nun von der Einbildungskraft allein das Gesetz empfangen. So willkürlich, abenteuerlich und bunt, als nur immer die sich selbst überlassene Phantasie ihre Bilder wechselt, musste nun das Auge von einer unerwarteten Dekoration zur andern hinüber springen und die Natur, in einem größeren oder kleinern Bezirk, die ganze Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen wie auf einer Musterkarte vorlegen. Sowie sie in den französischen Gärten ihrer Freiheit beraubt, dafür aber durch eine gewisse architektonische Übereinstimmung und Größe entschädigt wurde: So sinkt sie nun, in unsern so genannten englischen Gärten, zu einer kindischen Kleinheit herab und hat sich durch ein übertriebenes Bestreben nach Ungezwungenheit und Mannigfaltigkeit von aller schönen Einfalt entfernt und aller Regel entzogen. In diesem Zustand ist sie größtenteils noch, nicht wenig begünstigt von dem weichlichen Charakter der Zeit, der vor aller Bestimmtheit der Formen flieht und es unendlich bequemer findet, die Gegenstände nach seinen Einfällen zu modeln, als sich nach ihnen zu richten. 

   Da es so schwer hält, der ästhetischen* Gartenkunst ihren Platz unter den schönen Künsten anzuweisen; so könnte man leicht auf die Vermutung geraten, dass sie hier gar nicht unterzubringen sei. Man würde aber Unrecht haben, die verunglückten Versuche in derselben gegen ihre Möglichkeit überhaupt zeugen zu lassen. Jene beiden entgegengesetzten Formen, unter denen sie bis jetzt bei uns aufgetreten ist, enthalten etwas Wahres und entsprangen beide aus einem gegründeten Bedürfnis. Was zuerst den architektonischen Geschmack betrifft, so ist nicht zu leugnen, dass die Gartenkunst unter einer Kategorie mit der Baukunst steht, obgleich man sehr übel getan hat, die Verhältnisse der letztern auf sie anwenden zu wollen. Beide Künste entsprechen in ihrem ersten Ursprung einem physischen Bedürfnis, welches zunächst ihre Formen bestimmt, bis das entwickelte Schönheitsgefühl auf Freiheit dieser Formen drang und zugleich mit dem Verstand der Geschmack seine Forderungen machte. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, sind beide Künste nicht vollkommen frei und die Schönheit ihrer Formen wird durch den unnachlässlichen physischen Zweck jederzeit bedingt und eingeschränkt bleiben. Beide haben gleichfalls miteinander gemein, dass sie die Natur durch Natur, nicht durch ein künstliches Medium, nachahmen oder auch gar nicht nachahmen, sondern neue Objekte erzeugen. Daher mochte es kommen, dass man sich nicht sehr streng an die Formen hielt, welche die Wirklichkeit darbietet, ja, sich wenig daraus machte, wenn nur der Verstand durch Ordnung und Übereinstimmung und das Auge durch Majestät oder Anmut befriedigt wurde, die Natur als Mittel zu behandeln und ihrer Eigentümlichkeit Gewalt anzutun. Man konnte sich umso eher dazu berechtigt glauben, da offenbar in der Gartenkunst, wie in der Baukunst, durch eben diese Aufopferung der Naturfreiheit sehr oft der physische Zweck befördert wird. Es ist also den Urhebern des architektonischen Geschmacks in der Gartenkunst einigermaßen zu verzeihen, wenn sie sich von der Verwandtschaft, die in mehreren Stücken zwischen diesen beiden Künsten herrscht, verführen ließen, ihre ganz verschiedenen Charaktere zu verwechseln und in der Wahl zwischen Ordnung und Freiheit die erstere auf Kosten der andern zu begünstigen. 

   Auf der andern Seite beruht auch der poetische Gartengeschmack auf einem ganz richtigen Faktum des Gefühls. Einem aufmerksamen Beobachter seiner selbst konnte es nicht entgehen, dass das Vergnügen, womit uns der Anblick landschaftlicher Szenen erfüllt, von der Vorstellung unzertrennlich ist, dass es Werke der freien Natur, nicht des Künstlers sind. Sobald also der Gartengeschmack diese Art des Genusses bezweckte, so musste er darauf bedacht sein, auf seinen Anlagen alle Spuren eines künstlichen Ursprungs zu entfernen. Er machte sich also die Freiheit, so wie sein architektonischer Vorgänger die Regelmäßigkeit, zum obersten Gesetz; bei ihm musste die Natur, bei diesem die Menschenhand siegen. Aber der Zweck, nachdem er strebte, war für die Mittel viel zu groß, auf welche seine Kunst ihn beschränkte; und er scheiterte, weil er aus seinen Grenzen trat und die Gartenkunst in die Malerei hinüberführte. Er vergaß, dass der verjüngte Maßstab, der der letztern zustatten kommt, auf eine Kunst nicht wohl angewendet werden konnte, welche die Natur durch sich selbst repräsentiert und nur insofern rühren kann, als man sie absolut mit Natur verwechselt. Kein Wunder also, wenn er über dem Ringen nach Mannigfaltigkeit ins Tändelhafte und – weil ihm zu den Übergängen, durch welche die Natur ihre Veränderungen vorbereitet und rechtfertigt, der Raum und die Kräfte fehlten – ins Willkürliche verfiel. Das Ideal, nach dem er strebte, enthält an sich selbst keinen Widerspruch; aber es war zweckwidrig und grillenhaft, weil auch der glücklichste Erfolg die ungeheuren Opfer nicht belohnte. 

   Soll also die Gartenkunst endlich von ihren Ausschweifungen zurückkommen und wie ihre andern Schwestern zwischen bestimmten und bleibenden Grenzen ruhen, so muss man sich vor allen Dingen deutlich gemacht haben, was man denn eigentlich will, eine Frage, woran man, in Deutschland wenigstens, noch nicht genug gedacht zu haben scheint. Es wird sich alsdann wahrscheinlicher Weise ein ganz guter Mittelweg zwischen der Steifigkeit des französischen Gartengeschmacks und der gesetzlosen Freiheit des so genannten englischen finden; es wird sich zeigen, dass sich diese Kunst zwar nicht zu so hohen Sphären versteigen dürfe, als uns diejenigen überreden wollen, die bei ihren Entwürfen nichts als die Mittel zur Ausführung vergessen und dass es zwar abgeschmackt und widersinnig ist, in eine Gartenmauer die Welt einschließen zu wollen, aber sehr ausführbar und vernünftig, einen Garten, der allen Forderungen des guten Landwirts entspricht, sowohl für das Auge als für das Herz und den Verstand zu einem charakteristischen Ganzen zu machen. 

   Dies ist es, worauf der geistreiche Verfasser der fragmentarischen Beiträge zur Ausbildung des deutschen Gartengeschmacks in diesem Kalender vorzüglich hinweist und unter allem, was über diesen Gegenstand je mag geschrieben worden sein, ist uns nichts bekannt, was für einen gesunden Geschmack so befriedigend wäre. Zwar sind seine Ideen nur als Bruchstücke hingeworfen; aber diese Nachlässigkeit in der Form erstreckt sich nicht auf den Inhalt, der durchgängig von einem feinen Verstand und einem zarten Kunstgefühl zeugt. Nachdem er die beiden Hauptwege, welche die Gartenkunst bisher eingeschlagen und die verschiedenen Zwecke, welche bei Gartenanlagen verfolgt werden können, namhaft gemacht und gehörig gewürdigt hat, bemüht er sich, diese Kunst in ihre wahren Grenzen und auf einen vernünftigen Zweck zurückzuführen, den er mit Recht „in eine Erhöhung desjenigen Lebensgenusses setzt, den der Umgang mit der schönen landschaftlichen Natur uns verschaffen kann.“ Er unterscheidet sehr richtig die Gartenlandschaft (den eigentlichen englischen Park), worin die Natur in ihrer ganzen Größe und Freiheit erscheinen und alle Kunst scheinbar verschlungen haben muss, von dem Garten, wo die Kunst, als solche, sichtbar werden darf. Ohne der ersteren ihren ästhetischen* Vorzug streitig zu machen, begnügt er sich, die Schwierigkeiten zu zeigen, die mit ihrer Ausführung verknüpft und nur durch außerordentliche Kräfte zu besiegen sind. Den eigentlichen Garten teilt er in den großen, den kleinen und mittlern und zeichnet kürzlich die Grenzen, innerhalb deren sich bei einer jeden dieser drei Arten die Erfindung halten muss. Er eifert nachdrücklich gegen die Anglomanie so vieler deutschen Gartenbesitzer, gegen die Brücken ohne Wasser, gegen die Einsiedeleien an der Landstraße usf. und zeigt, zu welchen Armseligkeiten Nachahmungssucht und missverstandene Grundsätze von Varietät und Zwangsfreiheit führen. Aber indem er die Grenzen der Gartenkunst verengt, lehrt er sie innerhalb derselben desto wirksamer sein und durch Aufopferung des Unnötigen und Zweckwidrigen nach einem bestimmten und interessanten Charakter streben. So hält er es keineswegs für unmöglich, symbolische und gleichsam pathetische Gärten anzulegen, die ebenso gut als musikalische oder poetische Kompositionen fähig sein müssten, einen bestimmten Empfindungszustand auszudrücken und zu erzeugen, 

   Außer diesen ästhetischen* Bemerkungen ist von demselben Verfasser in diesem Kalender eine Beschreibung der großen Gartenanlage zu Hohenheim angefangen, davon uns derselbe im nächsten Jahr die Fortsetzung verspricht. Jedem, der diese mit Recht berühmte Anlage entweder selbst gesehen oder auch nur von Hörensagen kennt, muss es angenehm sein, dieselbe in Gesellschaft eines so feinen Kunstkenners zu durchwandern. Es wird ihn wahrscheinlich nicht weniger als den Rezensenten überraschen, in einer Komposition, die man so sehr geneigt war für das Werk der Willkür zu halten, eine Idee herrschen zu sehen, die, es sei nun dem Urheber oder dem Beschreiber des Gartens, nicht wenig Ehre macht. Die meisten Reisenden, denen die Gunst widerfahren ist, die Anlage zu Hohenheim zu besichtigen, haben darin, nicht ohne große Befremdung, römische Grabmäler, Tempel, verfallene Mauern u. dgl. mit Schweizerhütten und lachende Blumenbeete mit schwarzen Gefängnismauern abwechseln gesehen. Sie haben die Einbildungskraft nicht begreifen können, die sich erlauben durfte, so disparate Dinge in ein Ganzes zu verknüpfen. Die Vorstellung, dass wir eine ländliche Kolonie vor uns haben, die sich unter den Ruinen einer römischen Stadt niederließ, hebt auf einmal diesen Widerspruch und bringt eine geistvolle Einheit in diese barocke Komposition. Ländliche Simplizität und versunkene städtische Herrlichkeit, die zwei äußersten Zustände der Gesellschaft, grenzen auf eine rührende Art aneinander und das ernste Gefühl der Vergänglichkeit verliert sich wunderbar schön in dem Gefühl des siegenden Lebens. Diese glückliche Mischung gießt durch die ganze Landschaft einen tiefen, elegischen Ton aus, der den empfindenden Betrachter zwischen Ruhe und Bewegung, Nachdenken und Genuss schwankend erhält und noch lange nachhallet, wenn schon alles verschwunden ist. 

   Der Verf. nimmt an, dass nur derjenige über den ganzen Wert dieser Anlage richten könne, der sie im vollen Sommer gesehen; wir möchten noch hinzusetzen, dass nur derjenige ihre Schönheit vollständig fühlen könne, der sich auf einem bestimmten Weg ihr nähert. Um den ganzen Genuss davon zu haben, muss man durch das neu erbaute fürstliche Schloss zu ihr geführt worden sein. Der Weg von Stuttgart nach Hohenheim ist gewissermaßen eine versinnlichte Geschichte der Gartenkunst, die dem aufmerksamen Betrachter interessante Bemerkungen darbietet. In den Fruchtfeldern, Weinbergen und wirtschaftlichen Gärten, an denen sich die Landstraße hinzieht, zeigt sich demselben der erste physische Anfang der Gartenkunst, entblößt von aller ästhetischen* Verzierung. Nun aber empfängt ihn die französische Gartenkunst mit stolzer Gravität unter den langen und schroffen Pappelwänden, welche die freie Landschaft mit Hohenheim in Verbindung setzen und durch ihre kunstmäßige Gestalt schon Erwartung erregen. Dieser feierliche Eindruck steigt bis zu einer fast peinlichen Spannung, wenn man die Gemächer des herzoglichen Schlosses durchwandert, das an Pracht und Eleganz wenig seinesgleichen hat und auf eine gewiss seltene Art Geschmack mit Verschwendung vereinigt. Durch den Glanz, der hier von allen Seiten das Auge drückt und durch die kunstreiche Architektur* der Zimmer und des Ameublements wird das Bedürfnis nach – Simplizität bis zu dem höchsten Grad getrieben und der ländlichen Natur, die den Reisenden auf einmal in dem so genannten englischen Dorf empfängt, der feierlichste Triumph bereitet. Indes machen die Denkmäler versunkener Pracht an deren trauernde Wände der Pflanzer seine friedliche Hütte lehnt, eine ganz eigene Wirkung auf das Herz und mit geheimer Freude sehen wir uns in diesen zerfallenden Ruinen an der Kunst gerächt, die in dem Prachtgebäude nebenan ihre Gewalt über uns bis zum Missbrauch getrieben hatte. Aber die Natur, die wir in dieser englischen Anlage finden, ist diejenige nicht mehr, von der wir ausgegangen waren. Es ist eine mit Geist beseelte und durch Kunst exaltierte Natur, die nun nicht bloß den einfachen, sondern selbst den durch Kultur verwöhnten Menschen befriedigt und indem sie den ersteren zum Denken reizt, den letztern zur Empfindung zurückführt. 

   Was man auch gegen eine solche Interpretation der Hohenheimer Anlagen vielleicht einwenden mag, so gebührt dem Stifter dieser Anlagen immer Dank genug, dass er nichts getan hat, um sie Lügen zu strafen, und man müsste sehr ungenügsam sein, wenn man in ästhetischen* Dingen nicht ebenso geneigt wäre, die Tat für den Willen, als in moralischen den Willen für die Tat anzunehmen. Wenn das Gemälde dieser Hohenheimer Anlage einmal vollendet sein wird, so dürfte es den unterrichteten Leser nicht wenig interessieren, in demselben zugleich ein symbolisches Charaktergemälde ihres so merkwürdigen Urhebers zu erblicken, der nicht in seinen Gärten allein Wasserwerke von der Natur zu erzwingen wusste, wo sich kaum eine Quelle fand. 

   Das Urteil des Verfassers über den Garten zu Schwetzingen und über das Seifersdorfer Tal bei Dresden wird jeder Leser von Geschmack, der diese Anlagen in Augenschein genommen, unterschreiben und sich mit demselben nicht enthalten können, eine Empfindsamkeit, welche Sittensprüche, auf eigne Täfelchen geschrieben, an die Bäume hängt, für affektiert* und einen Geschmack, der Moscheen und griechische Tempel in buntem Gemisch durcheinander wirft, für barbarisch zu erklären.