Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Thekla

Eine Geisterstimme

 

  Wo ich sei und wo mich hingewendet,
Als mein flücht’ger Schatten Dir entschwebt?
Hab’ ich nicht beschlossen und geendet,
Hab’ ich nicht geliebet und gelebt?

  Willst Du nach den Nachtigallen fragen,
Die mit seelenvoller Melodie
Dich entzückten in des Lenzes Tagen,
Nur solang sie liebten, waren sie.

  Ob ich den Verlorenen gefunden?
Glaube mir, ich bin mit ihm vereint,
Wo sich nicht mehr trennt, was sich verbunden,
Dort wo keine Träne wird geweint.

  Dorten wirst auch Du uns wieder finden,
Wenn Dein Lieben unserm Lieben gleicht.
Dort ist auch der Vater, frei von Sünden,
Den der blut’ge Mord nicht mehr erreicht.

  Und er fühlt, dass ihn kein Wahn betrogen,
Als er aufwärts zu den Sternen sah,
Denn wie jeder wägt, wird ihm gewogen,
Wer es glaubt, dem ist das Heil’ge nah.

  Wort gehalten wird in jenen Räumen,
Jedem schönen, gläubigen Gefühl,
Wage Du, zu irren und zu träumen,
Hoher Sinn liegt oft in kind’schem Spiel.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-31. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-208. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.