Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Ritter Toggenburg

Ballade

“Ritter, treue Schwesterliebe
  Widmet Euch dies Herz,
Fordert keine andre Liebe,
  Denn es macht mir Schmerz.
Ruhig mag ich Euch erscheinen,
  Ruhig gehen sehn.
Eurer Augen stilles Weinen
  Kann ich nicht verstehn.”

Und er hört’s mit stummen Harme,
  Reißt sich blutend los,
Presst sie heftig in die Arme,
  Schwingt sich auf sein Ross,
Schickt zu seinen Mannen allen
  In dem Lande Schweiz,
Nach dem heil’gen Grab sie wallen,
  Auf der Brust das Kreuz.

Große Taten dort geschehen
  Durch der Helden Arm,
Ihres Helmes Büsche wehen
  In der Feinde Schwarm
Und des Toggenburgers Name
  Schreckt den Muselmann,
Doch das Herz von seinem Grame
  Nicht genesen kann.

Und ein Jahr hat er’s getragen,
  Trägt’s nicht länger mehr,
Ruhe kann er nicht erjagen,
  Und verlässt das Heer.
Sieht ein Schiff an Joppe’s Strande,
  Das die Segel bläht,
Schiffet heim zum teuren Lande,
  Wo ihr Atem weht.

Und an ihres Schlosses Pforte
  Klopft der Pilger an,
Ach! Und mit dem Donnerworte
  Wird sie aufgetan:
“Die ihr suchet, trägt den Schleier,
  Ist des Himmels Braut.
Gestern war des Tages Feier,
  Der sie Gott getraut.”

Da verlässet er auf immer
  Seiner Väter Schloss.
Seine Waffen sieht er nimmer,
  Noch sein treues Ross.
Von der Toggenburg hernieder
  Steigt er unbekannt,
Denn es deckt die edeln Glieder
  Härenes Gewand.

Und er baut sich eine Hütte
  Jener Gegend nah,
Wo das Kloster aus der Mitte
  Düstrer Linden sah.
Harrend von des Morgens Lichte
  Bis zu Abends Schein,
Stille Hoffnung im Gesichte,
  Saß er da allein.

Blickte nach dem Kloster drüben,
  Blickte Stundenlang
Nach dem Fenster seiner Lieben,
  Bis das Fenster klang,
Bis die Liebliche sich zeigte,
  Bis das teure Bild
Sich ins Tal herunter neigte,
  Ruhig, engelmild.

Und dann legt er froh sich nieder,
  Schlief getröstet ein,
Still sich freuend, wenn es wieder
  Morgen würde sein.
Und so saß er viele Tage,
  Saß viel Jahre lang,
Harrend ohne Schmerz und Klage,
  Bis das Fenster klang,

Bis die Liebliche sich zeigte,
  Bis das teure Bild
Sich ins Tal herunter neigte,
  Ruhig, engelmild.
Und so saß er, eine Leiche,
  Eines Morgens da,
Nach dem Fenster noch das bleiche
  Stille Antlitz sah.

 


Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-73. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-102. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.