Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Der philosophische Egoist

 

Hast Du den Säugling gesehn, der, unbewusst noch der Liebe,
  Die ihn wärmet und wiegt, schlafend von Arme zu Arm
Wandert, bis bei der Leidenschaft Ruf der Jüngling erwachet
  Und des Bewusstseins Blitz dämmernd die Welt ihm erhellt?
Hast Du die Mutter gesehn, wenn die süßen Schlummer dem Liebling
  Kauft mit dem eigenen Schlaf und für das Träumende sorgt,
Mit dem eigenen Leben ernährt die zitternde Flamme
  Und mit der Sorge selbst sich für die Sorge belohnt?
Und Du lästerst die große Natur, die, bald Kind und bald Mutter
  Jetzt empfänget, jetzt gibt, nur durch Bedürfnis besteht?
Selbst genügsam willst Du dem schönen Ring Dich entziehen,
  Der Geschöpf an Geschöpf reiht in vertraulichem Bund,
Willst, Du Armer, stehen allein und allein durch Dich selber,
  Wenn durch der Kräfte Tausch selbst das Unendliche steht?

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-192. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-224. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.