Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Jeremiade

 

Alles in Deutschland hat sich in Prosa und Versen verschlimmert,
  Ach, und hinter uns liegt weit schon die goldene Zeit!
Philosophen verderben die Sprache, Poeten die Logik
  Und mit dem Menschenverstand kommt man durchs Leben nicht mehr.
Aus der Ästhetik, wohin sie gehört, verjagt man die Tugend,
  Jagt sie, den lästigen Gast, in die Politik hinein.
Wohin wenden wir uns? Sind wir natürlich, so sind wir
  Platt und genieren wir uns, nennt man es abgeschmackt gar.
Schöne Naivität der Stubenmädchen zu Leipzig,
  Komm doch wieder, o komm, witzige Einfalt, zurück!
Komm Komödie wieder, Du ehrbare Wochenvisite,
  Siegmund, Du süßer Amant, Maskarill, spaßhafter Knecht!
Trauerspiele voll Salz, voll epigrammatischer Nadeln,
  Und Du, Menuettschritt unsers geborgten Kothurns!
Philosoph’scher Roman, Du Gliedermann, der so geduldig
  Still hält, wenn die Natur gegen den Schneider sich wehrt.
Alte Prosa komm wieder, die alles so ehrlich heraussagt,
  Was sie denkt und gedacht, auch was der Leser sich denkt.
Alles in Deutschland hat sich in Prosa und Versen verschlimmert,
  Ach, und hinter uns liegt weit schon die goldene Zeit!

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-191. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-269. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.