Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Der Gang nach dem Eisenhammer

Ballade

 

  Ein frommer Knecht war Fridolin,
Und in der Furcht des Herrn
Ergeben der Gebieterin,
Der Gräfin von Savern.
Sie war so sanft, sie war so gut,
Doch auch der Launen Übermut
Hätt’ er geeifert zu erfüllen,
Mit Freudigkeit, um Gotteswillen.

  Früh von des Tages erstem Schein
Bis spät die Vesper schlug,
Lebt er nur ihrem Dienst allein,
Tat nimmer sich genug.
Und sprach die Dame: “Mach Dir’s leicht!”
Da wurd’ ihm gleich das Auge feucht
Und meinte, seiner Pflicht zu fehlen,
Durft’ er sich nicht im Dienste quälen.

  Drum vor dem ganzen Dienertross
Die Gräfin ihn erhob,
Aus ihrem schönen Munde floss
Sein unerschöpftes Lob.
Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,
Es gab sein Herz ihm Kindesrecht,
Ihr klares Auge mit Vergnügen
Hing an den wohlgestalten Zügen.

  Darob entbrennt in Roberts Brust,
Des Jägers, gift’ger Groll,
Dem längst von böser Schadenlust
Die schwarze Seele schwoll.
Und trat zum Grafen, rasch zur Tat
Und offen des Verführers Rat,
Als einst vom Jagen heim sie kamen,
Streut’ ihm ins Herz des Argwohns Samen:

  “Wie seid ihr glücklich, edler Graf”,
Hub er voll Arglist an,
“Euch raubet nicht den goldnen Schlaf
Des Zweifels gift’ger Zahn.
Denn ihr besitzt ein edles Weib,
Es gürtet Scham den keuschen Leib,
Die fromme Treue zu berücken
Wird nimmer dem Versucher glücken.”

  Da rollt der Graf die finstern Brau’n:
“Was red’st Du mir, Gesell?
Werd’ ich auf Weibestugend bau’n,
Beweglich wie die Well’?
Leicht locket sie des Schmeichlers Mund,
Mein Glaube steht auf festerm Grund,
Vom Weib des Grafen von Saverne
Bleibt, hoff’ ich, der Versucher ferne.”

  Der andere spricht: “So denkt Ihr recht.
Nur Euren Spott verdient
Der Tor, der, ein geborner Knecht,
Ein solches sich erkühnt,
Und zu der Frau, die ihm gebeut,
Erhebt der Wünsche Lüsternheit” –
“Was?”, fällt ihm jener ein und bebet,
“Redst Du von einem, der da lebet?”

  “Ja doch, was aller Mund erfüllt,
Das bürg’ sich meinem Herrn!
Doch, weil ihr’s denn mit Fleiß verhüllt,
So unterdrück’ ich’s gern” –
“Du bist des Todes, Bube, sprich!”
Ruft jener streng und fürchterlich.
“Wer hebt das Aug’ zu Kunigonden?”
“Nun ja, ich spreche von dem Blonden.”

  “Er ist nicht hässlich von Gestalt”,
Fährt er mit Arglist fort,
Indem’s den Grafen heiß und kalt
Durchrieselt bei dem Wort.
“Ist’s möglich, Herr? Ihr saht es nie,
Wie er nur Augen hat für sie?
Bei Tafel Eurer selbst nicht achtet,
An ihrem Stuhl gefesselt schmachtet?”

  “Seht da die Verse, die er schrieb
Und seine Glut gesteht” –
“Gesteht!” – “Und sie um Gegenlieb’,
Der freche Bube, fleht.
Die gnäd’ge Gräfinn, sanft und weich,
Aus Mitleid wohl verbarg sie’s Euch,
Mich reuet jetzt, dass mir’s entfahren,
Denn Herr, was habt Ihr zu befahren?”

  Da ritt in seines Zornes Wut
Der Graf ins nahe Holz,
Wo ihm in hoher Öfen Glut
Die Eisenstufe schmolz.
Hier nährten früh und spät den Brand
Die Knechte mit geschäft’ger Hand,
Der Funke sprüht, die Bälge blasen,
Als gält, es Felsen zu verglasen.

  Des Wassers und des Feuers Kraft
Verbündet sieht man hier,
Das Mühlrad von der Flut gerafft,
Umwälzt sich für und für.
Die Werke klappern Nacht und Tag,
Im Takte pocht der Hämmer Schlag,
Und bildsam von den mächt’gen Streichen
Muss selbst das Eisen sich erweichen.

  Und zweien Knechten winket er,
Bedeutet sie und sagt:
“Den ersten, den ich sende her,
Und der euch also fragt:
‘Habt ihr befolgt des Herren Wort?’
Den werft mir in die Hölle dort,
Dass er zu Asche gleich vergehe
Und ihn mein Aug’ nicht weiter sehe.”

  Des freut sich das entmenschte Paar
Mit roher Henkerslust,
Denn fühllos wie das Eisen war
Das Herz in ihrer Brust.
Und frischer mit der Bälge Hauch
Erhitzen sie des Ofens Bauch,
Und schicken sich mit Mordverlangen
Das Todesopfer zu empfangen.

  Drauf Robert zum Gesellen spricht
Mit falschem Heuchelschein:
“Frisch auf Gesell und säume nicht,
Der Herr begehret dein.”
Der Herr, der spricht zu Fridolin:
“Musst gleich zum Eisenhammer hin,
Und frage mir die Knechte dorten,
Ob sie getan nach meinen Worten?”

  Und jener spricht: “Es soll geschehn”,
Und macht sich flugs bereit.
Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn:
“Ob sie mir nichts gebeut?”
Und vor die Gräfin stellt er sich:
“Hinaus zum Hammer schickt man mich,
So sag, was kann ich Dir verrichten?
Denn Dir gehören meine Pflichten.”

  Darauf die Dame von Savern
Versetzt mit sanftem Ton:
“Die heil’ge Messe hört’ ich gern,
Doch liegt mir krank der Sohn.
So gehe denn, mein Kind, und sprich
In Andacht ein Gebet für mich,
Und denkst Du reuig Deiner Sünden,
So lass auch mich die Gnade finden.”

  Und froh der vielwillkommnen Pflicht,
Macht er im Flug sich auf,
Hat noch des Dorfes Ende nicht
Erreicht im schnellen Lauf.
Da tönt ihm von dem Glockenstrang
Hellschlagend des Geläutes Klang,
Das alle Sünder, hochbegnadet,
Zum Sakramente festlich ladet.

  “Dem lieben Gotte weich nicht aus,
Find’st Du ihn auf dem Weg!” –
Er spricht’s und tritt ins Gotteshaus
Kein Laut ist hier noch reg’.
Denn um die Ernte war’s und heiß
Im Felde glüht der Schnitter Fleiß,
Kein Chorgehilfe war erschienen,
Die Messe kundig zu bedienen.

  Entschlossen ist er alsobald,
Und macht den Sacristan,
“Das”, spricht er, “ist kein Aufenthalt,
Was fördert himmelan.”
Die S t o l a und das C i n g u l u m
Hängt er dem Priester dienend um,
Bereitet hurtig die Gefäße,
Geheiliget zum Dienst der Messe.

  Und als er dies mit Fleiß getan,
Tritt er als Ministrant
Dem Priester zum Altar voran,
Das Meßbuch in der Hand,
Und kniet rechts und kniet links,
Und ist gewärtig jedes Winks,
Und als des S a n c t u s Worte kamen
Da schellt er dreimal bei dem Namen.

  Drauf als der Priester fromm sich neigt
Und, zum Altar gewandt,
Den Gott, den gegenwärt’gen, zeigt,
In hocherhab’ner Hand,
Da kündet es der Sacristan
Mit hellem Glöcklein klingend an,
Und alles kniet und schlägt die Brüste,
Sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

  So übt er jedes pünktlich aus,
Mit schnell gewand’tem Sinn,
Was Brauch ist in dem Gotteshaus.
Er hat es alles in,
Und wird nicht müde bis zum Schluss,
Bis beim V o b i s c u m   D o m i n u s
Der Priester zur Gemein’ sich wendet,
Die heil’ge Handlung segnend endet.

  Da stellt er jedes wiederum
In Ordnung säuberlich,
Erst reinigt er das Heiligtum,
Und dann entfernt er sich,
Und eilt in des Gewissens Ruh
Den Eisenhütten heiter zu,
Spricht unterwegs, die Zahl zu füllen,
Zwölf Paternoster noch im Stillen.

  Und als er rauchen sieht den Schlot,
Und sieht die Knechte stehn,
Da ruft er: “Was der Graf gebot,
Ihr Knechte, ist’s geschehn?”
Und grinsend zerren sie den Mund,
Und deuten in des Ofens Schlund:
“Der ist besorgt und aufgehoben,
Der Graf wird seine Diener loben.”

  Die Antwort bringt er seinem Herrn
In schnellem Lauf zurück.
Als der ihn kommen sieht von fern,
Kaum traut er seinem Blick:
“Unglücklicher! Wo kommst Du her?”
“Vom Eisenhammer” – “Nimmermehr!
So hast Du Dich im Lauf verspätet?”
“Herr, nur so lang, bis ich gebetet.”

  “Denn als von Eurem Angesicht
Ich heute ging, verzeiht!
Da fragt’ ich erst, nach meiner Pflicht,
Bei der, die mir gebeut.
Die Messe, Herr, befahl sie mir
Zu hören, gern gehorcht’ ich ihr,
Und sprach der Rosenkränze viere
Für Euer Heil und für das ihre.”

  In tiefes Staunen sinket hier
Der Graf, entsetzet sich:
“Und welche Antwort wurde dir
Am Eisenhammer? Sprich!”
“Herr, dunkel war der Rede Sinn,
Zum Ofen wies man lachend hin:
Der ist besorgt und aufgehoben,
Der Graf wird seine Diener loben.”

  “Und Robert?” fällt der Graf ihm ein,
Es überläuft ihn kalt,
“Sollt er Dir nicht begegnet sein,
Ich sandt ihn doch zum Wald.”
““Herr, nicht im Wald, nicht in der Flur
Fand ich von Robert eine Spur –”
“Nun”, ruft der Graf und steht vernichtet,
“Gott selbst im Himmel hat gerichtet!”

  Und gütig, wie er nie gepflegt,
Nimmt er des Dieners Hand,
Bringt ihn der Gattin, tiefbewegt,
Die nichts davon verstand.
“Dies Kind, kein Engel ist so rein,
Lasst’s Eurer Huld empfohlen sein,
Wie schlimm wir auch beraten waren,
Mit dem ist Gott und seine Scharen.”

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-171. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-116. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.