Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Erwartung

 

  Hör’ ich das Pförtchen nicht gehen?
  Hat nicht der Riegel geklirrt?
    Nein, es war des Windes Wehen,
    Der durch diese Pappeln schwirrt.

O, schmücke dich, du grün belaubtes Dach,
Du sollst die Anmut strahlende empfangen,
Ihr ’Zweige, baut ein schattendes Gemach,
Mit holder Nacht sie heimlich zu umfangen,
Und all ihr Schmeichellüfte, werdet wach
Und scherzt und spielt um ihre Rosenwangen,
Wenn seine schöne Bürde, leicht bewegt,
Der zarte Fuß zum Sitz der Liebe trägt.

  Stille, was schlüpft durch die Hecken
  Raschelnd mit eilendem Lauf?
    Nein, es scheuchte nur der Schrecken
    Aus dem Busch den Vogel auf.

O! Lösche deine Fackel Tag! Hervor,
Du geist’ge Nacht, mit deinem holden Schweigen,
Breit’ um uns her den purpurroten Flor,
Umspinn’ uns mit geheimnisvollen Zweigen,
Der Liebe Wonne flieht des Lauschers Ohr,
Sie flieht des Strahles unbescheid’nen Zeugen!
Nur Hesper, der Verschwiegene, allein
Darf still herblickend ihr Vertrauter sein.

  Rief es von ferne nicht leise,
  Flüsternden Stimmen gleich?
    Nein, der Schwan ist’s, der die Kreise
    Ziehet durch den Silberteich.

Mein Ohr umtönt ein Harmonienfluss,
Der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen,
Die Blume neigt sich bei des Westes Kuss,
Und alle Wesen seh’ ich Wonne tauschen,
Die Traube winkt, die Pfirsche zum Genuss,
Die üppig schwellend hinter Blättern lauschen,
Die Luft, getaucht in der Gewürze Flut,
Trinkt von der heißen Wange mir die Glut.

  Hör’ ich nicht Tritte erschallen?
  Rauscht’s nicht den Laubgang daher?
    Nein, die Frucht ist dort gefallen,
    Von der eig’nen Fülle schwer.

Des Tages Flammenauge selber bricht
In süßem Tod und seine Farben blassen,
Kühn öffnen sich im holden Dämmerlicht
Die Kelche schon, die seine Gluten hassen,
Still hebt der Mond sein strahlend Angesicht,
Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen,
Der Gürtel ist von jedem Reiz gelöst,
Und alles Schöne zeigt sich mir entblößt.

  Seh’ ich nichts Weißes dort schimmern?
  Glänzt’s nicht wie seid’nes Gewand?
    Nein, es ist der Säule Flimmern
    An der dunkeln Taxuswand.

O! Sehnend Herz, ergötze dich nicht mehr,
Mit süßen Bildern wesenlos zu spielen,
Der Arm, der sie umfassen will, ist leer,
Kein Schattenglück kann diesen Busen kühlen.
O! Führe mir die Lebende daher,
Lass ihre Hand, die Zärtliche, mich fühlen,
Den Schatten nur von ihres Mantels Saum,
Und in das Leben tritt der hohle Traum.

  Und leis’, wie aus himmlischen Höhen
  Die Stunde des Glückes erscheint,
    So war sie genaht, ungesehen,
    Und weckte mit Küssen den Freund.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-165. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-8. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.