Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die berühmte Frau

 

E p i s t e l
eines Ehemanns an einen andern

  Beklagen soll ich Dich? Mit Tränen bitt’rer Reue
Wird Hymens Band von Dir verflucht?
Warum? Weil Deine Ungetreue
In eines andern Armen sucht,
Was ihr die Deinigen versagen?
Freund, höre fremde Leiden an,
Und lerne D e i n e leichter tragen.

  Dich schmerzt, dass sich in Deine Rechte
Ein Zweiter teilt? – Beneidenswerter Mann!
Mein Weib gehört dem ganzen menschlichen Geschlechte.
Vom Belt bis an der Mosel Strand,
Bis an die Apenninenwand,
Bis in die Vaterstadt der Moden,
Wird sie in allen Buden feil geboten,
Muss sie auf Diligencen, Paketbooten
Vom jedem Schulfuchs, jedem Hasen,
Kunstrichterlich sich mustern lassen,
Muss sie der Brille des Philisters stehn,
Und wie’s ein schmutz’ger Aristarch befohlen,
Auf Blumen oder heißen Kohlen
Zum Ehrentempel oder Pranger gehn.
Ein Leipziger – dass Gott ihn strafen wollte!
Nimmt topographisch sie wie eine Festung auf,
Und bietet Gegenden dem Publikum zu Kauf,
Wovon ich billig doch a l l e i n nur sprechen sollte.

  D e i n Weib – Dank den kanonischen Gesetzen!
Weiß Deiner G a t t i n Titel doch zu schätzen.
Sie weiß w a r u m? Und tut sehr wohl daran.
Mich kennt man nur als N i n o n s Mann.
Du klagst, daß im Parterr’ und an den Pharotischen,
Erscheinst Du, alle Zungen zischen?
O, Mann des Glücks! Wer einmal das von sich
Zu rühmen hätte! – Mich, Herr Bruder, mich,
Beschert mir endlich eine Molkenkur
Das rare Glück – den Platz an ihrer Linken,
M i c h merkt kein Aug’ und alle Blicke winken
Auf meine stolze Hälfte nur.

  Kaum ist der Morgen grau,
So kracht die Treppe schon von blau und gelben Röcken,
Mit Briefen, Ballen, unfrankierten Packen,
Signiert: An die b e r ü h m t e Frau.
Sie schläft so süß! – Doch d a r f ich sie nicht schonen.
“Die Zeitungen, Madam, aus Jena und Berlin!”
Rasch öffnet sich das Aug’ der holden Schläferin,
Ihr erster Blick fällt – auf Rezensionen.
Das schöne blaue Auge! – M i r
Nicht einen Blick! – durchirrt ein elendes Papier,
(Laut hört man in der Kinderstube weinen)
Sie legt es endlich weg und frägt nach ihren Kleinen.

  Die Toilette wartet schon;
Doch halbe Blicke nur beglücken ihren Spiegel.
Ein mürrisch ungeduldig Drohn
Gibt der erschrock’nen Zofe Flügel.
Von ihrem Putztisch sind die Grazien entflohn,
Und an der Stelle holder Amorinen
Sieht man Erinnyen den Lockenbau bedienen.

  Karossen rasseln jetzt heran,
Und Mietlakaien springen von den Tritten,
Dem düftenden Abbé, dem Reichsbaron, dem Briten,
Der – nur nichts Deutsches lesen kann,
Großing und Compagnie, dem Z** Wundermann
Gehör bei der B e r ü h m t e n zu erbitten.
Ein Ding, das demutsvoll sich in die Ecke drückt,
Und Ehmann heißt, wird vornehm angeblickt.
Hier darf ihr – wird D e i n Hausfreund so viel wagen?
Der dümmste F a t, der ärmste Wicht,
Wie s e h r   e r   s i e   b e w u n d ’ r e,   s a g e n;
Und darfs vor meinem Angesicht!
Ich steh’ dabei, und, will ich artig heißen,
Muss ich ihn bitten, mitzuspeisen.

  Bei Tafel, Freund, beginnt erst meine Not,
Da geht es über meine Flaschen!
Mit Weinen von Burgund, die m i r der Arzt verbot,
Muss ich die Kehlen ihrer Lober waschen.
Mein schwer verdienter Bissen Brot
Wird hungriger Schmarotzer Beute.
O, diese leidige vermaledeite
U n s t e r b l i c h k e i t ist meines Nierensteiners Tod.
Den Wurm an alle Finger, welche drucken!
Was, meinst Du, sei mein Dank? Ein Achselzucken,
Ein Mienenspiel, ein ungeschliffenes Beklagen,
Errätst Du’s nicht? O, ich versteh’s genau!
Dass d e n Brillant von einer Frau
Ein solcher Pavian davon getragen.

  Der Frühling kommt. Auf Wiesen und auf Feldern
Streut die Natur den bunten Teppich hin.
Die Blumen kleiden sich in angenehmes Grün,
Die Lerche singt, es lebt in allen Wäldern.
– Ihr ist der Frühling wonneleer.
Die Sängerin der süßesten Gefühle,
Der schöne Hain, der Zeuge uns’rer Spiele,
Sagt ihrem Herzen jetzt nichts mehr.
Die Nachtigallen haben nicht g e l e s e n,
Die Lilien b e w u n d e r n nicht.
Der allgemeine Jubelruf der Wesen
Begeistert s i e – zu einem Sinngedicht.
Doch nein! Die Jahrszeit ist so schön – zum R e i s e n.
Wie drängend voll mags jetzt in Pyrmont sein!
Auch hört man überall das Karlsbad preisen.
Husch ist sie dort – in jenem ehrenvollen Reihn,
Wo G r i e c h e n untermischt mit Weisen
Zelebritäten a l l e r Art,
Vertraulich wie in Charons Kahn gepaart,
An einem Tisch zusammen speisen.
Wo, eingeschickt von fernen Meilen,
Zerriss’ne T u g e n d e n von ihren Wunden heilen,
Noch and’re – sie mit Würde zu bestehn,
Um die V e r s u c h u n g lüstern flehn –
Dort Freund – O, lerne dein Verhängnis preisen!
Dort wandelt meine Frau, und lässt mir sieben Waisen.

  O, meiner Liebe erstes Flitterjahr!
Wie schnell – ach, wie so schnell bist du entflogen!
Ein Weib, wie keines ist, und keines war,
Mir von des Reizes Göttinnen erzogen,
Mit hellem Geist, mit aufgetanem Sinn
Und weichen leicht beweglichen Gefühlen,
So sah ich sie, die Herzenfesslerin,
Gleich einem Maitag, mir zur Seite spielen;
Das süße Wort: Ich liebe dich!
Sprach aus dem holden Augenpaare;
So führt’ ich sie zum Traualtare;
O, wer war glücklicher als ich!
Ein Blütenfeld beneidenswerter Jahre
Sah lachend mich aus diesem Spiegel an.
Mein Himmel war mir aufgetan.
Schon sah ich schöne Kinder um mich scherzen,
In ihrem Kreis die Schönste s i e,
Die Glücklichste von allen s i e,
Und m e i n, durch Seelenharmonie,
Durch ewig festen Bund der Herzen.
Und nun erscheint – O, mög’ ihn Gott verdammen!
Ein g r o ß e r Mann – ein s c h ö n e r Geist.
Der große Mann tut eine Tat! – und reißt
Mein Kartenhaus vom Himmelreich zusammen.

  Wen hab’ ich n u n? – Beweineswerter Tausch!
Erwacht aus diesem Wonnerausch,
Was ist von diesem Engel mir geblieben?
Ein s t a r k e r Geist in einem z a r t e n Leib,
Ein Zwitter zwischen Mann und Weib,
Gleich ungeschickt zum Herrschen und zum Lieben;
Ein Kind mit eines Riesen Waffen,
Ein Mittelding von Weisen und von Affen!
Um kümmerlich dem s t ä r k e r n nachzukriechen,
Dem s c h ö n e r e n Geschlecht entfloh’n,
Herabgestürzt von einem Thron,
Des Reizes heiligen Mysterien entwichen,
Aus Cythereas g o l d ’ n e m   B u c h*) gestrichen
Für – einer Zeitung Gnadenlohn.


*) Gold’nes Buch: so wird in einigen italiänischen Republiken das Verzeichnis genannt, in welchem die adeligen Familien eingeschrieben stehen.

 


 

Überarbeitet von Jürgen Kühnle auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-159.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Dritter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1812. Seite 3-429.