Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar, 30. November [Mittwoch] 1803. 

In meiner jetzigen Ein- und Abgeschlossenheit erfahre ich nur an dem immer kürzeren Tagesbogen, daß sich die Zeit bewegt. Durch den Mangel an aller Zerstreuung und durch ein vorsätzliches Beharren erhalte ich so viel, daß meine Arbeit wenigstens nicht still steht, obgleich meine ganze Physik unter dem Druck dieser Jahrszeit leidet. 

Ihr Brief zeigt daß Sie heiter sind und mit Vergnüg sehe ich, daß Sie mit Hegeln näher bekannt werden. Was ihm fehlt, möchte ihm nun wohl schwerlich gegeben werden können, aber dieser Mangel an Darstellungsgabe ist im Ganzen der deutsche Nationalfehler und compensiert sich, wenigstens einem deutschen Zuhörer gegenüber, durch die deutsche Tugend der Gründlichkeit und des redlichen Ernstes. 

Suchen Sie doch Hegeln und Fernow einander näher zu bringen; ich denke es müßte gehen, dem einen durch den andern zu helfen. Im Umgang mit Fernow muß Hegel auf eine Lehrmethode denken, um ihm seinen Idealismus zu verständigen, und Fernow muß aus seiner Flachheit herausgehen. Wenn Sie beide vier- oder fünfmal bei Sich haben und ins Gespräch bringen, so finden sich gewiß Berührungspunkte zwischen beiden. 

Prof. Rehberg ist vor 8 Tagen hier durchgekommen; Sie würden mir mehr Aufschluß über Ihn geben können, als ich selbst gefunden, da ich gar nichts von ihm wußte. Er hat eine Achtung und eine Neigung zu dem deutschen Wesen; aber ich weiß nicht, ob er ein Organ hat, die idealistische Denkweise aufzunehmen. Der nordische Magnet scheint mächtig auf alle Deutschen in Italien zu wirken; denn was wir im Norden treiben, beunruhigt sie ganz gewaltig mitten im Süden. 

Man sagt hier, daß die Hallenser ein Verbot der Jenaischen Zeitung im Preußischen ausgewirkt. Ich kann es kaum glauben, schreiben Sie mir doch was daran ist. 

Thibaut, der neulich hier war, hat von der Jenaischen Zeitung auch ganz gute Hofnungen. Sonst war er sehr bedenklich und wollte gar nicht daran glauben. 

Sie schreiben mir nichts von Voß; grüßen Sie ihn doch, wenn Sie ihn sehen und theilen mir etwas von ihm mit. 

Fr. v. Stael ist wirklich in Frankfurt und wir dürfen sie bald hier erwarten. Wenn sie nur deutsch versteht, so zweifle ich nicht, daß wir über sie Meister werden, aber unsre Religion in französischen Phrasen ihr vorzutragen und gegen ihre französ. Volubilität aufzukommen ist eine zu harte Aufgabe. Wir würden nicht so leicht damit fertig werden wie Schelling mit Camille Jordain der ihm mit Locke angezogen kam – Je meprise Locke, sagte Schelling und so verstummte denn freilich der Gegner. 

Leben Sie recht wohl. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 97. Z. 15. Der Maler Friedrich Rehberg. Vgl. Allgem. Deutsche Biogr. Zu Z. 26. Thibaut war aus Kiel nach Jena berufen.