Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm von Humboldt

Weimar 18. Aug. [Donnerstag] 1803.

Sie werden schon längst auf den Erfolg Ihres Auftrags an mich gewartet haben, theurer Freund, aber es war mir nicht möglich, Ihnen früher ein Resultat mitzutheilen. Ich selbst bin ganz außer aller Verbindung mit Studierenden und kenne auch sonst wenige, auf deren Urtheil u: Empfehlung ich mich in einer solchen Angelegenheit verlassen könnte. Niemeier den ich aufgefodert, hat noch niemand finden können, und gerade jezt sind einige gute Subjecte durch sehr vortheilhafte Anträge schon anderswohin berufen. Ein recht wackrer Mann, H. D. Hegel aus Wirtenberg, ist jezt in Jena Docent der Philosophie, ein gründlicher philosophischer Kopf, der Ihnen vielleicht auch als Schriftsteller bekannt ist, aber Sie wollen keinen Metaphysiker, auch ist dieser etwas kränklich u: grämlich u: könnte überdieß erst auf Ostern sich losmachen. Ein Sohn von Voß ist vor kurzem als Hofmeister bei einem Grafen Reuss aus Berlin angestellt worden. Nun habe ich durch Grießbach einen H. Molinar aus Creveld auf der Liste, dieser soll ein sehr würdiger junger Mann von Kenntnißen und Sitten seyn, der nach Grießbachs Versicherung den Foderungen, welche Sie machen und die ich Lezterem in ihrem ganz Umfang bekannt machte, entsprechen soll. Auch versteht er italienisch und spricht das französische sehr fertig. Wenn ich von dem Empfehler auf den Empfohlenen schließen darf, so läßt sich vermuthen, daß dieser Molinar ein ganz guter moralischer Mensch der auch etwas gelernt hat seyn mag, aber daß er auch Geist besitze folgt aus dieser Empfehlung freilich noch nicht. Mit ihm wird also nichts gewagt werden, und ich wollte Ihnen also immer rathen, ihn zu nehmen, da es nun doch nicht möglich ist, daß ich den selbst erst sehe, den ich Ihnen proponiere. Im Fall der Annahme müßten Sie aber mit der allerersten Post antworten, weil sonst der Herbst herankommt. Unterdeßen habe ich ihm durch Grießbachs schreiben laßen, und er hat Zeit sich zu entschließen ehe Ihre Antwort anlangt. Fände sich in den nächsten 14 Tagen noch etwas, so gebe ich Ihnen sogleich Nachricht. 

Ein Exemplar der Braut v Messina werden Sie unmittelbar von Cotta, dem ich es auftrug, erhalten haben. Gern hätt ich das Stück im Mscrpt gesendet, aber es kamen mir so verschiedene Nachrichten von Unsicherheit der Posten nach Italien zu, daß ich zuviel zu wagen glaubte, wenn ich meinen kleinen Reichthum der Post anvertraute. 

Göthens Natürliche Tochter wird Sie sehr erfreuen und wenn Sie dieses Stück mit seinen andern, den früheren und mittleren, vergleichen, zu interessanten Betrachtungen führen. Des theatralischen hat er sich zwar darinn noch nicht bemächtigt, es ist zuviel Rede und zu wenig That, aber die hohe Symbolik mit der er den Stoff behandelt hat, so daß alles stoffartige vertilgt und alles nur Glied eines ideelen Ganzen ist, diese ist wirklich bewundernswerth. Es ist ganz Kunst und ergreift dabei die innerste Natur durch die Kraft der Wahrheit. Daß er zu der Zeit, wo Sie nach meinem lezten Brief an seiner Productivität ganz verzweifeln mußten, mit einem neuen Werk hervorgetreten, wird Sie eben so wie mich selbst überrascht haben; denn auch mir hatte er wie der ganzen Welt ein Geheimniß daraus gemacht. Auf d October wird es gedruckt erscheinen. 

Wilhelm Tell ist es jezt, was mich beschäftigt, aber dieser Stoff ist sehr widerstrebend und kostet mir große Mühe; da er aber sonst großen Reiz hat und sich durch seine Volksmäßigkeit so sehr zum Theater empfiehlt, so lasse ich mir die Arbeit nicht verdrießen, ihn endlich noch zu überwältigen. 

Sie werden nun bald Schelling mit der Schlegeln die er geheirathet, in Rom sehen. Interessieren wird Er Sie gewiß aber es ist zu beklagen, daß er sich so schändlich hat unterjochen lassen.

Leider geht es mit unsrer Academie in Jena jezt auf die Neige. Loder geht nach Halle, Grießbach wird den Winter nicht überleben. Hufeland, auch Schütz mitsamt der Litteratur Zeitung und Paulus sind nach Wirzbach berufen, wo sie wahrscheinlich auch hinwandern. Batsch ist schon im vorig Jahr gestorben. Die Philosophie ist mit Schelling vollends ganz ausgewandert. Leider ist nicht zu hoffen, daß aus andern Universitäten etwas wird, indem sie Jena zerstören helfen. Vielleicht war Jena, wie es vor 6, 8 Jahren noch war, die lezte lebendige Erscheinung ihrer Art auf Jahrhunderte. 

Ich lege Ihnen ein Lied bei, das in der Absicht entstanden ist, dem gesellschaftlichen Gesang einen höheren Text unterzulegen. Die Lieder der Deutschen, welche man in fröhlichen Zirkeln singen hört schlagen fast alle in den platten prosaischen Ton der Freimäurerlieder ein, weil das Leben keinen Stoff zur Poesie giebt; deßwegen habe ich mir für dieses Lied den poetischen Boden der Homerischen Zeit gewählt und die alten Heldengestalten der Ilias darinn auftreten laßen. So kommt man doch aus der Prosa des Lebens heraus und wandelt in beßerer Gesellschaft. 

Was bei uns sich Neues ereignet, wird meine Frau schreiben. Ich bewege mich so einförmig in meinem hergebrachten Lebenskreise, daß ich gar nicht merke wie die Welt geht; ja theurer Freund, wenn ich denke in welcher ganz andern und hohen Region Sie leben, so gerathe ich in Verlegenheit, Ihnen ein Wort von mir zu sagen.

Herzlich theilen wir alles, was Ihnen begegnet und wünschen, da es doch nicht anders ist, daß Sie in Ihrem jetzigen Lebenskreis immer einheimischer werden und sich dabei glücklich fühlen. Von ganzer Seele umarmt Sie und die gute Caroline Ihr 

Sch.


Bemerkungen

1 Abgesandt d. 19. August.
X. (Eingetr. d. 25. Juli). Fehlt. Z. Vom 22. Okt. (eingetr. d. 17. Nov.).
S. 64. Z. 7. B. Empfehlung in einer solchen Angelegenheit ich mich. Z. 27. In B. fehlt: freilich.
S. 65. Z. 13. Die Worte: des – aber (Z. 15) fehlen in B. Z. 25. B. Wilhelm Tell ist jetzt.
S. 66. Z. 22. B. höheren Region.
Zu S. 64. Z. 3. Der Auftrag war, an Stelle Riemers, der am 3. Sept. 1803 in Jena anlangte und nun als Hauslehrer von August von Goethe in Goethes Haus eintrat, einen andern Hauslehrer für seine Kinder zu besorgen. Schiller hatte am 5. Aug. an Niemeyer geschrieben (der Brief fehlt). Niemeyer antwortete ihm am 12. Aug. Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 388. Riemers Nachfolger bei Humboldts wurde schließlich Welcker. Zu Z. 20. In K. sind unter dem 17. u. 18. August Briefe an Griesbach verzeichnet. Ein Brief der Frau Griesbach vom 17. Aug. an Charlotte v. Sch. bei Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 389.
Zu S. 65. Z. 30. Die Stelle in B. (zweite Auflage) an falscher Stelle. Über Schelling vgl. Brief der Frau v. Hoven an Charlotte v. Sch. Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 383.
Zu S. 66. Z. 10. Das Lied ist das Siegesfest. Zu Z. 19. Charlottens Brief fehlt, aber der Brief Karolinens an sie vom 17. Sept., Urlichs, Charl. v. Sch. II. ist wohl die Antwort auf ihren Brief.