Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Lauchstädt d. 6. Jul. [Mittwoch] 1803. 

Ich kann die Jagemann nicht abreisen lassen ohne Ihnen ein kleines Lebenszeichen zu geben. Es gefällt mir hier bis jezt sehr wohl, der Ort und die Gelegenheiten für die Gesellschaft haben einen freundlichen Eindruck auf mich gemacht, und wenn man sich einmal frisch resolviert gar nichts zu thun, so läßt sichs unter dem Treiben einer Menge, die auch nichts zu thun hat, ganz leidlich müßig gehen. Länger freilich als 8 oder 12 Tage möchte ich einen solchen Zustand nicht aushalten. 

Das Theatergebäude hat mich in dieser kurzen Zeit seine Vorzüge und auch seine Mängel erfahren lassen. Was die leztern betrift, so finde ich daß die Stimmen an Deutlichkeit verlieren, besonders aber ist das Dach wegen seiner Form und dünnen Bauart der Witterung zu sehr ausgesezt. In der Braut v. M. fiel ein Gewitter mit viel Regen ein, welcher so heftig schallend auf die Dachung schlug, daß man ganze Viertelstunden lang auch keine einzige zusammenhängende Rede verstehen konnte, wie sehr die Schauspieler auch ihre Stimmen anstrengten. Und den Tag darauf, wo ich das leere Schauspielhaus besichtigte, sah man die häßlichen Spuren des hereingedrungenen Regens an der schön gemalten Decke. 

Die natürl. Tochter hat vielen Beifall gefunden, besonders die lezte Hälfte, wie dieß auch in Weimar der Fall war. Einige Bemerkung, die ich bei dieser Gelegenheit gemacht, will ich Ihnen mündlich mittheilen. Die Jagemann hat sich, ohngeachtet sie heiser war und gar nicht glaubte, spielen zu können, sehr gut gehalten, und dann hat Becker auch recht gut gesprochen, und auch Heide hat Beifall gefunden. 

Es führt zu nützlichen Betrachtungen zuweilen ein andres Publicum zu sehen, und hier ist noch dazu ein doppeltes, weil der Sonntag ganz andre Menschen in der Comödie versammelt. 

Ich werde vielleicht die Mara, die ich zu Weimar versäumen mußte, hier oder in Halle noch hören. Auf den Fall daß sie hieher kommt, habe ich mich, auf Ansuchen der Badegesellschaft, bei den Wöchnern verbürgt, daß es Ihnen nicht zuwider seyn werde, zu diesem Concert das Schauspielhaus zu nehmen. Ich muß dem Genast das Zeugniß geben, daß er recht wachsam und eifrig fürs Ganze sorgt und auf den Nutzen der Cassa so wie auf die Ehre der Gesellschaft bedacht ist.

An Schmalz, der zur natürl. Tochter hier war, habe ich eine sehr schätzbare Bekanntschaft gemacht und dieser einzige Abend hat uns einander gleich recht nahe gebracht. Es ist eine Freude mit einem so klaren, jovialen und rüstigen Geschäftsmann zu leben, der weder Pedant noch affektiert ist. Auch Niemeiers waren an jenem Abend hier und ich habe ihnen versprechen müssen, diese Woche nach Halle zu kommen. Leider werde ich Wolfen dort nicht finden, da er ins Pyrmonter Bad gereist ist. Der Herzog von Wirtemberg hat sich hier sehr angenehm betragen, und alles in gute Laune gesezt; die ersten Zeiten meines Hierseyns sind durch ihn sehr belebt und erheitert worden. Sonst ist die Gesellschaft hier ziemlich behaglich, zutraulich und fröhlich, nur muß man es mit der Ausbeute des Gesprächs nicht genau nehmen. Mit einigen jungen Männern, besonders aus Berlin, habe ich indessen doch verschiedene nicht uninteressante Unterhaltung gehabt. 

Leben Sie wohl und lassen Sie den alten Götz nur recht vorwärtsschreiten. Meiern viele Grüße. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zum Inhalt vgl. zu Nr. 1882.
Zu S. 54. Z. 27. Goethe arbeitete den Götz v. Berlichingen um. Er berichtet darüber in dem Brief vom 5. Juli.