Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Charlotte von Schiller

Lauchst. 4 Jul. [Montag] 1803.

Der Theaterbote geht heute nach W. und ich kann Dir liebes Herz einige Nachricht von mir geben. Meine Herreise ist recht glücklich gewesen und ich kam nach 7 Uhr an. Der Ort hat einen recht schönen Eindruck auf mich gemacht, die Allee und alle Anlagen umher sind heiter, es ist für die Societät auf eine artige u anständige Weise gesorgt, auch fand ichs sehr volkreich und dabei ganz zwanglos, so dass ich mich in der Masse der Menschen recht gern mit fortbewege. Ich hatte Mühe ein Logis zu finden, und nur nach vielem Umherfragen fand man eins für mich aus, zwischen der Allee und dem Comödienhaus, das sehr hübsch gelegen ist, par terre, an einem Garten, wo die andren Hausnachbarn mir völlig fremd sind und mich nicht genieren. Ich eße in dem großen Salon, der sehr schön und ziemlich so groß wie der Concertsaal im Landschaftshauß zu Weimar ist. Es war bisher immer mit 100 und 120 Gästen besezt, wobei es sehr lustig hergeht. Es sind viele sächsische auch einige Preußische Offiziers hier und viele Damen, worunter es auch recht hübsche Gesichter giebt. Alle Abende wird nach dem Souper getanzt und den ganzen Tag gedudelt. 

Der Prinz von Wirtemberg ist gestern um 4 Uhr angekommen, und seitdem er hier ist, waren wir immer beisammen, er ist gar artig und behaglich, und es scheint ihm zu gefallen, daß er sich in der Masse verlieren kann und gar nicht auf ihn reflectiert wird. Die Braut von Messina ist gestern gegeben worden bei sehr vielen Zuschauern, aber es war eine drückende Gewitterluft und ich habe mich weit hinweggewünscht. Dabei erlebte ich den eigenen Zufall, daß während der Comödie ein schweres Gewitter ausbrach, wobei die Donnerschläge und besonders der Regen so heftig schallten, daß eine Stunde lang man fast kein Wort der Schauspieler verstand und die Handlung nur aus der Pantomime errathen mußte. Es war eine Angst unter den Schauspielern und ich glaubte jeden Augenblick dass man den Vorhang würde fallen lassen müssen. Wenn sehr heftige Blitze kamen, so flohen viele Frauenzimmer aus dem Haus heraus, es war eine ganz erstaunliche Störung. Dennoch wurde es zu Ende gespielt und unsre Schauspieler heilten sich noch ganz leidlich. Lustig und fürchterlich zugleich war der Effekt, wenn bei den gewaltsamen Verwünschungen des Himmels, welche die Isabelle im lezten Akt ausspricht, der Donner einfiel, und gerade bei den Worten des Chors

Wenn die Wolken gethürmt den Himmel schwärzen
Wenn dumpftosend der Donner hallt,
Da da fühlen sich alle Herzen
In des furchtbaren Schicksals Gewalt, 

fiel der wirkliche Donner mit fürchterlichem Knallen ein, so daß Graff ex tempore eine Geste dabei machte, die das ganze Publicum ergriff. 

Heute ist die natürliche Tochter. Der Herzog von Wirtemberg bleibt noch hier und vielleicht auch morgen, es gefällt ihm sehr auch dem dicken August der euch schönstens grüßen läßt. 

Man hat mir gestern nach dem Ball noch in später Nacht eine Musik gebracht, wobei viele Studenten aus Halle u Leipzig waren, so daß ich noch nicht recht habe ausschlafen können, auch des Morgens haben sie mich mit Musik begrüßt. 

Die Fremde aus Andros welche gleich in den ersten Wochen hier gegeben worden hat nichts gethan und es ist am Schluß sogar von einigen gepfiffen worden. 

Aber mein Papier ist vollgeschrieben und ich muß schließen. Küsse die lieben Narren recht herzlich von mir und bleibe recht wohl, ich schreibe bald wieder. Der Frau tausend Grüße und auch Goethen wenn Du ihn siehst. lebewohl liebe Maus. 

Dein S.


Bemerkungen

1 Zu S. 49. Z. 2. Schiller war am 2. Juli nach Lauchstädt gereist. Z. 22. Prinz Eugen v. Württemberg, preuß. General, der 1806 nach der Schlacht bei Jena eine schwere Niederlage vor dem Leipziger Thore in Halle erlitt.
Zu S. 50. Z. 16. Graff hat in Schillers Album, Cotta 1837 selbst einen Bericht über diesen Vorgang veröffentlicht. Er datirt ihn nur falsch vom 11. Juni 1803. Einen andern Bericht eines Studenten Krahn teilt Gubitz, Erlebnisse I., S. 54, mit, der selbst auch Augenzeuge der Vorstellung war. Auch er verlegt den Vorfall in den Juni und weiß dann noch zu erzählen, wie die Studenten Schiller, als er sich schon auszog, um zu Bett zu gehen, im Triumph zu einem Kommers abgeholt hätten. Zu Z. 20. Der dicke August war August v. Wolzogen, der Adjutant des Prinzen v. Württemberg.
S. 51. Z. 29. Sollte als einer der mir sonst nicht bekannten jungen Berliner Gubitz gezählt sein? Z. 32. Schiller fuhr nach K. wirklich Freitag d. 8. Juli nach Halle. Vgl. auch Nr. 1884.
S. 52. Z. 2. Schmalz ist der später berüchtigte Vorkämpfer gegen die vermeintliche Demagogie in Preußen und die Geheimbünde. Vgl. über ihn, den Schwager Scharnhorsts, die Deutsche Allgem. Biographie, wo Schillers Urteil bestätigt wird. Freilich ist kaum anzunehmen, daß Schiller bei längerer Bekanntschaft über diesen Verfechter des Absolutismus sein erstes günstiges Urteil aufrecht erhalten haben würde. Vgl. Nr. 1883. Zu Z. 8. Gertrud Elisabeth Mara geb. Schmehling sang in Lauchstädt erst am 26. Juli. Sie war damals schon 54 Jahre alt. In Weimar hatte sie schon öffentlich gesungen, wo Schiller sie aber hatte versäumen müssen. Vgl. Nr. 1883. Zu Z. 12. Die Regisseure Becker, Genast, Schall ließen die Regie wöchentlich unter sich umgehen; dadurch entstand die Bezeichnung Wöchner. Zu Z. 30. Die Frau ist Karoline v. Wolzogen.