Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an August Wilhelm Iffland

Weimar 22. April [Freitag] 1803.

Was Sie mir im vorigen Jahr bei Gelegenheit der Turandot geschrieben, mein verehrter Freund, ist bei mir nicht auf die Erde gefallen, und daß ich Ihnen nicht sogleich darauf geantwortet, ist nicht bloß aus einer gewöhnlichen Nachlässigkeit, wie sie mir sonst beim Briefschreiben oft begegnet, sondern deßwegen geschehen, weil ich Ihnen über das jezige theatralische Wesen und namentlich über die Rolle, die ich selbst etwa dabei übernehmen könnte, etwas ausführliches und hinreichendes schreiben wollte. Und dazu kam ich nun leider nicht, und durch das Aufschieben unterblieb es ganz. Auch war mir im vorig Jahre Hofnung gemacht worden, daß ich Sie selbst sprechen würde. 

Ich halte es allerdings für möglich, daß ich zweckmäßige Stücke für das Theater schreiben könnte, und da ich so gut Geld verdienen möchte als ein anderer, so würde ich gar nicht gleichgültig dagegen seyn. Aber für einen Zweck, der außer meinem poetischen Interesse liegt, habe ich mein Lebenlang nichts thun könne, und wenn ich mich also, wie ich hoffe, wünsche und will, in meinen künftigen Dramen den theatralischen Foderungen nähern soll, so muß die Kunst selbst mich dahin führen, denn ein wirklich vollkommenes dramatisches Werk muß, nach meiner festen Ueberzeugung auch die Eigenschaft haben, allgemein und fortdauernd zu interessiren. Da ich in meinen Arbeiten jezt noch nicht zurückzugehen glaube, und zu einem frischen Fortschritt Muth und Lust besitze, so bin ich wenigstens jezt mehr als jemals auf dem Wege, wo Sie mich wünschen. Die Turandot ist weiter nichts als ein lustiges Intermezzo gewesen, das unter den vielen Versuchen, die man gemacht, auch einmal mitlaufen konnte. Bei der Braut von Messina habe ich, ich will es Ihnen aufrichtig gestehen, einen kleinen Wettstreit mit den alten Tragikern versucht, wobei ich mehr an mich selbst als an ein Publicum außer mir dachte, wiewohl ich innerlich überzeugt bin, daß bloß ein Dutzend lyrischer Stücke nöthig seyn würden, um auch diese Gattung, die uns jezt fremd ist, bei den Deutschen in Aufnahme zu bringen, und ich würde dieses allerdings für einen großen Schritt zum Vollkommenen halten. Uebrigens aber werde ich es vor der Hand dabei bewenden lassen, da Einer allein nun einmal nicht hinreicht, den Krieg mit der ganzen Welt aufzunehmen. 

Meine zwey nächsten Stücke werden Ihren Wünschen vermuthlich um vieles mehr entsprechen. Das erste, welches ich diesen Sommer ausarbeiten will, ist die Geschichte des Warbeck, der sich unter Heinrich VII. von England für einen Herzog von York ausgab. Aus der Geschichte ist nichts genommen als diese Situation und alles übrige ist zu einem poetischen Ganzen erfunden. Das Stück endigt erfreuend, und ist also mein erstes nicht tragisches Schauspiel, wiewohl es durchaus pathetisch ist. Das Zweite Stück, das an die Reihe kommen wird, ist Wilhelm Tell, ein Sujet, wozu ich bloß dadurch veranlaßt wurde, daß die Rede gieng, ich mache ein solches Stück, woran ich nie gedacht hatte. Dieses ganz grundlose Gerücht machte mich aber auf diesen Stoff zuerst aufmerksam, ich las die Quellen, ich bekam Lust, die Idee zu dem Stück entwickelte sich bei mir, und so wird also vermuthlich, wie öfters schon geschehen, die Prophezeihung eben dadurch erfüllt werden, daß sie gemacht worden ist. 

Dieß sind nun meine nächsten Arbeiten, ich nenne sie ihnen, weil Sie es wünschen und bitte übrigens, es nicht weiter zu sagen. Noch habe ich zwei französische Lustspiele von Picard unter der Feder, wovon das Eine in 8 Tagen fertig ist, und auch das andre bald nachfolgt. Sie haben eine gute theatralische Anlage und schienen mir die Aufnahme auf unsern Bühnen zu verdienen. 

Goethe hat kürzlich ein sehr vortrefliches Stück von einer hohen rührenden Gattung auf die Bühne gebracht, das auch einen guten Succeß auf unserm Theater gehabt hat. Es wird auch gewiß an andern Orten Wirkung thun, und da es eine große weibliche debutrolle enthält, so wird es einen lebhaften Curs auf den deutschen Bühnen bekommen.

Lassen Sie mich, mein werthester, Ihrer Freundschaft, Ihres Wohlwollens nie entbehren. 

Ganz der Ihrige 

Schiller.


Bemerkungen

1 Zu S. 34. Z. 3. Vgl. Ifflands Brief vom 16. April 1802 (eingetr. d. 13. Mai) bei Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 412.
Zu S. 35. Z. 6. Sch. war unmutig, daß die Turandot nicht besser aufgenommen war u. selbst Iffland sich in jenem Briefe dagegen ausgesprochen hatte. Vgl. auch die beiden bei Braun, Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen III. 227 u. 340 abgedruckten Rezensionen der Turandot u. den A. Z. unterzeichneten Brief an Schiller bei Urlichs Nr. 336. Zu Z. 18. Die Gerüchte, daß Sch. vorhabe, die Tellsage dramatisch zu behandeln, entstanden schon 1801. Vgl. Caroline Schlegel an Schelling vom 13. Febr. 1801 u. 27. Febr. 1801. Schiller an Körner 17. März 1802 u. 6. Sept. 1802. Unger an Sch. vom 6. März 1802. Wilmanns an Sch. 29. Sept. 1802. Sch. an Cotta d. 16. März 1802. Fritz v. Stein an Charlotte Schiller d. 31. Okt. 1801. Herzfeld an Sch. vom 22. Dez. 1801.