Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar 5. May [Mittwoch] 1802.

Ich komme in diesem Augenblick aus der Regierung, wo man mich länger warten lassen, als ich dachte, und kann Ihnen also, da das Botenmädchen gleich fort will, bloß das nöthigste schreiben.

Iphigenie wäre auf keinen Fall auf den nächsten Sonnabend zu zwingen gewesen, weil die Hauptrolle sehr groß und schwer einzulernen ist. Es war schlechterdings nöthig d Vohsin Zeit dazu zu geben. Ich hoffe übrigens das Beste für dieses Stück; es ist mir nichts vorgekommen, was die Wirkung stören könnte. Gefreut hat es mich, daß die eigentlich poetisch schönen Stellen und die lyrischen besonders auf unsere Schauspieler immer die höchste Wirkung machten. Die Erzählung von den Thyestischen Greueln und nachher der Monolog des Orests, wo er dieselben Figuren wieder in Elisium friedlich zusammen sieht, müssen als zwei sich aufeinander beziehende Stücke und als eine aufgelößte Dissonanz vorzüglich herausgehoben werden. Besonders ist alles daran zu wenden, daß der Monolog gut executiert werden, weil er auf der Grenze steht, und wenn er nicht die höchste Rührung erweckt, die Stimmung leicht verderben kann. Ich denke aber er soll eine sublime Wirkung machen. 

Den übeln Erfolg der Ariadne wird Ihnen der Hof Kammerrath schon berichtet haben. Sie können ihm alles schlimme glauben, was er Ihnen davon schreiben mag; denn diese Elise ist eine armselige herz- und geistlose Comodiantin von der gemeinen Sorte, die durch ihre Ansprüche ganz unausstehlich wird. Doch Sie werden sie selbst sehen und hören, wenn Sie länger in Jena bleiben, denn sie denkt in etlichen Tagen ein Declamations Concert dort zu geben. 

Wir sind seit 6 Tagen eingezogen und freilich noch in größer Confusion, doch habe ich mich in d Morgenstund in etwas zur Arbeit sammeln können und hoffe nun bald recht in Gang zu kommen. 

Zu der lyrischen Ausbeute gratuliere ich. Genießen Sie die schöne Jahrszeit aufs beste und denken unsrer. 

Sch. 

[Adresse:]
                   an Herrn
   Geheimen Rath von Goethe
               Hochwohlgeb.
      fr.                                Jena.


Bemerkungen

1 Zu S. 378. Z. 25. Auf der Regierung hatte er wohl wegen eines Lehenscheins zu thun. Vgl. K.
Zu S. 379. Z. 15. Vgl. Nr. 1787. Zu Z. 27. Goethe hatte in X. geschrieben: „Einiges lyrische hat sich wieder eingefunden.“