Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar 28. April [Dienstag] 1801.

Sie verlieren doch etwas, daß Sie diese musikalische Woche versäumen, wo Tanz und Gesang sich zu unsrer Ergötzlichkeit vereinigen. Gern hat uns durch seine schöne Stimme im Sarastro viel Freude gemacht; im Tarare hat er weniger befriedigt, denn die gewaltsame brusque Person widersteht seiner weichen Sprache. 

Die Tänzer welche am Montag im Intermezzo sich sehen ließen haben die Weimarianer in eine zweifelhafte Verwunderung gesetzt; man ist an die seltsamen Stellungen und Bewegungen, wo das Bein ganz lang nach hinten und nach der Seite ausgestreckt wird nicht gewohnt. Sie sehen unschicklich, indecent und nichts weniger als schön aus. Aber die Leichtigkeit und Flüchtigkeit und das musikalische Maaß hat sehr viel ergötzendes. 

Cotta ist in diesen Tagen durchgereißt, hat sich aber nur einige Stunden aufgehalten, und wird auf seiner Rückreise etwas länger bleiben, wo er auch Sie hier zu finden hofft. Er hat den Kupferstecher Miller aus Stuttgardt mitgebracht, den Sie auch schon von Person kennen soviel ich weiß. Es ist ein braver Mann, aber der Mann und seine Kunst erklären einander wechselsweise, er hat ganz das sorgfältige, reinliche, kleinliche und delikate seines Griffels. Es sind auch 4 Zeichnungen Wächters zum Wallenstein mitgekommen, die zu vielerlei Betrachtungen, besonders wieder über die Wahl der Gegenstände Anlaß gaben. Aber es ist etwas recht tüchtiges, charakteristisches und kräftiges darinn. Meier hat sie noch nicht gesehen, ich bin neugierig ob er den Künstler erräth. 

Der Nathan ist ausgeschrieben und wird Ihnen zugeschickt werden, daß Sie die Rollen austheilen. Ich will mit dem Schauspielervolk nichts mehr zu schaffen haben, denn durch Vernunft und Gefälligkeit ist nichts auszurichten, es giebt nur ein einziges Verhältniß zu ihnen, den kurzen Imperativ, den ich nicht auszuüben habe.

Die Jungfrau habe ich vor 8 Tagen dem Herzog schicken müssen und habe sie noch nicht aus seinen Händen zurück erhalten. Wie er sich aber gegen meine Frau und Schwägerin geäusert, so hat sie, bei aller Opposition, in der sie zu seinem Geschmacke steht, eine unerwartete Wirkung auf ihn gemacht. Er meint aber, sie könne nicht gespielt werden und darinn könnte er Recht haben. Nach langer Berathschlagung mit mir selbst, werde ich sie auch nicht aufs Theater bringen, ob mir gleich einige Vortheile dabei entgehen. Erstlich rechnet Unger, an den ich sie verkauft habe, darauf, daß er sie als eine vollkommene Novität zur Herbstmesse bringe; er hat mich gut bezahlt und ich kann ihm hierin nicht entgegen seyn. Dann schreckt mich auch die schreckliche Empirie des Einlernens, des Behelfens und der Zeitverlust der Proben davon zurück, den Verlust der guten Stimmung nicht einmal gerechnet. Ich trage mich jetzt mit zwei neuen dramatischen Süjets, und wenn ich sie beide durchdacht und durchgeprüft habe, so will ich zu einer neuen Arbeit übergehen. Leben Sie recht wohl und kommen ja auf den Sonnabend her. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 272. Z. 6. Sarastro in der Zauberflöte. Tarare ist ein Musikdrama Antonio Salieris nach einem Text von Beaumarchais, das auf Josephs II. Befehl vom Komponisten in eine italienische Oper umgewandelt wurde. In dieser Form hat es sich unter dem Titel Axur rè d’Ormus Jahrzehnte hindurch auf den deutschen Bühnen erhalten. (In Wien zuerst so am 8. Januar 1788, in Berlin am 24. Okt. 1791 aufgeführt.) Auch in Weimar ist es wohl anfangs unter dem Titel Axur, König v. Ormus aufgeführt worden. Düntzer citiert vom 20. Febr. 1800 eine Aeußerung Goethes zu Kirms: „Künftig darf auf dem Zettel von Axur nicht mehr die Rede seyn. Ich werde mich über die Herstellung des alten Titels Tarare ehestens öffentlich erklären.“ Eine solche Erklärung Goethes ist mir nicht bekannt. Zu Z. 19. Der berühmte Kupferstecher Johann Gotthard Müller. Zu Z. 23. Vielleicht sind diese 4 Zeichnungen die vier Scenen aus Schillers Wallenstein im Taschenbuch für Damen 1808: Der Rekrut. Der muß baumeln. Der Astrolog Seni und Theklas erste Zusammenkunft mit Friedland. Leonhard Wächter unter dem Pseudonym Veit Weber bekannt.