Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 20. März [Freitag] 1801. 

Die mitgetheilten Novitäten folgen hier mit meinem besten Danke zurück. 

Diese Adrastea ist ein bitterböses Werk, das mir wenig Freude gemacht hat. Der Gedanke an sich war nicht übel, das verfloßene Jahrhundert, in etwa einem Dutzend reich ausgestatteten Heften, vorüber zu führen, aber das hätte einen andern Führer erfodert und die Thiere mit Flügeln und Klauen die das Werk ziehen, können bloß die Flüchtigkeit der Arbeit und die Feindseligkeit der Maximen bedeuten. Herder verfällt wirklich zusehends und man möchte sich zuweilen im Ernst fragen, ob einer der sich jezt so unendlich trivial, schwach und hohl zeigt, wirklich jemals außerordentlich gewesen seyn kann. Es sind Ansichten in dem Buch, die man im Reichsanzeiger zu finden gewohnt ist; und dieses erbärmliche Hervorklauben der frühern und abgelebten Litteratur, um nur die Gegenwart zu ignorieren, oder hämische Vergleichungen anzustellen! 

Und was sagen Sie zu der Aeonis? Haben Sie hier eine feste Gestalt gepackt? Ich gestehe, daß ich nicht recht weiß wovon die Rede ist; wovon die Rede seyn soll, sieht man wohl. Indessen ist es gut, daß der Dünkel und der Widerspruchsgeist den Verfasser in die Arena herausgelockt haben, um in Nachahmung Ihres Vorbildes seine Schwäche und Ungeschicklichkeit an den Tag zu legen. Was an dem Stücke gut ist, die Aufstellung zweier Hauptfiguren als ein Gegensatz der sich auflößt und die Begleitung derselben mit allegorischen Nebenfiguren, dieß ist Ihnen abgeborgt, und mit der eignen Erfindung beginnt die Pfuscherey. 

Die Erzählung von Tressan hat mir in meiner Einsamkeit Vergnügen gemacht. Von den Ritterromanen, die er bearbeitet hat, ist zwar in ihn selbst wenig mehr übergegangen als eine gewisse moralische Reinheit und Delikatesse; statt der Natürlichkeit der Gefühle findet man nur den Kanzleystyl derselben, und alles ist auf einen sentimentalen Effekt berechnet, aber eine gewisse Einfachheit in der Anlage und eine Geschicklichkeit in der Anordnung befriedigt und erfreut. 

Den Ugolino können sie auf keinen Fall brauchen. Es ist nichts damit zu thun als ihn an d. H. D. Gries aus Hamburg, der sich noch hier aufhält, so schnell als möglich zurückzugeben. 

Der unaufhörliche Wind, dem ich auch bei verschloßenen Zimmern nicht entweichen kann, macht mir meinen Aufenthalt im Garten oft lästig, und hindert mich auch am Ausgehen, weil er mir die Brust angreift. 

Indessen rückt doch die Arbeit immer fort, obgleich nicht mit schnellen Schritten. 

Leben Sie recht wohl, Meiern viele Grüße. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 257. Z. 31. Auch Goethe urteilte über die Adrastea Herders in X. u. Z. sehr ungünstig.
Zu S. 258. Z. 19. Das Vorbild ist wohl Goethes Paläophron u. Neoterpe. Zu Z. 25. Histoire du chevalier Robert (Düntzer). Zu Z. 33. Vgl. zu Nr. 1670.