Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, 28. Jul. [Montag] 1800.

Wir beklagen es sehr, daß wir Euch dieses Jahr nicht sehen sollen, zu einer größeren Reise bis Dresden fehlt es mir zu sehr an Zeit und auch an Mitteln; doch nichts als die Unmöglichkeit soll mich im nächsten Jahr davon abhalten, wo ich es auch mit mehr Muße und Ruhe hoffe ausführen zu können. Denn mich verfolgt ein böser Geist, bis ich die zwei nächsten Stücke, die ich im Kopf habe, ausgeführt sehe. Ich habe zur Maria Stuart, nach Abrechnung der Zeit, wo ich nicht daran arbeitete, 7 und ½ Monat gebraucht, von dem ersten Gedanken an diesen Stoff an gerechnet; ich kann also hoffen, bei zunehmender Uebung und größerer Sicherheit in der Ausführung in einem halben Jahre ein Stück fertig zu bringen. So hoffe ich das Versäumte herein zu bringen, und, wenn ich das funfzigste Jahr erreichen kann, noch unter den fruchtbaren Theaterschriftstellern einen Platz zu verdienen. 

Ich will Dir aus meinem neuen Plan kein Geheimniß machen; doch bitte ich, gegen niemand etwas davon zu erwähnen, weil mir das öffentliche Sprechen von Arbeiten, die noch nicht fertig sind, die Neigung dazu benimmt. Das Mädchen von Orleans ist der Stoff, den ich bearbeite; der Plan ist bald fertig, ich hoffe binnen 14 Tagen an die Ausführung gehen zu können. Poetisch ist der Stoff in vorzüglichem Grade, so nämlich wie ich mir ihn ausgedacht habe, und in hohem Grade rührend. Mir ist aber Angst vor der Ausführung, eben weil ich sehr viel darauf halte, und in Furcht bin, meine eigene Idee nicht erreichen zu können. In 6 Wochen muß ich wissen, wie ich mit der Sache daran bin. Auf das Hexenwesen werde ich mich nur wenig einlassen, und soweit ich es brauche, hoffe ich mit meiner eigenen Phantasie auszureichen. In Schriften findet man beinahe gar nichts, was nur irgend poetisch wäre; auch Goethe sagt mir, daß er zu seinem Faust gar keinen Trost in Büchern gefunden hätte. Es ist derselbe Fall mit der Astrologie, man erstaunt, wie platt und gemein diese Fratzen sind, womit sich die Menschen so lange beschäftigen konnten. 

Das Mädchen von Orleans läßt sich in keinen so engen Schnürleib einzwängen, als die Maria Stuart. Es wird zwar an Umfang der Bogen kleiner seyn1, als dieses letztere Stück; aber die dramatische Handlung hat einen größern Umfang, und bewegt sich mit größerer Kühnheit und Freiheit. Jeder Stoff will seine eigene Form, und die Kunst besteht darin, die ihm anpassende zu finden. Die Idee eines Trauerspiels muß immer beweglich und werdend seyn, und nur virtualiter in hundert und tausend möglichen Formen sich darstellen. 

Dein 

Sch.


1 Maria Stuart enthielt 4033, die J. v. Orl. 4948 Verse.


Bemerkungen

1 Zu S. 181. Z. 14. Zum Ausdruck „hereinbringen“ vgl. zu Nr. 112.
Zu S. 182. Z. 7. Maria Stuart zählt 4033, die Jungfrau v. Orleans 4998 Verse.