Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, 13 Jul. [Sonntag] 1800.1

Es ist mir ein großer Trost von Dir zu hören, daß der Mangel an demjenigen Interesse welches der Held oder die Heldin einflößen, der Maria Stuart bei Dir nicht geschadet hat. Du sagst ganz recht, daß die Hauptpersonen das Herz nicht anziehen, und ich kann nicht läugnen, daß dieß der Punkt war, wo ich beim Wallenstein mit Dir dissentierte: denn in Deinem Urtheil über den letztern glaubte ich noch etwas zu sehr stoffartiges zu bemerken, weil Du mir auf den Max Piccolomini ein zu großes Gewicht legtest, ja voraussagtest, daß er in den Piccolomini die Hauptperson vorstellen sollte, und den Wallenstein verdunkle. Nach meiner Ueberzeugung hat das moralische Gefühl niemals den Helden zu bestimmen, sondern die Handlung allein, insofern sie sich auf ihn allein bezieht oder allen von ihm ausgeht. – Der Held einer Tragödie braucht nur soviel moralischen Gehalt, als nöthig ist um Furcht und Mitleid zu erregen. – Freilich macht man schon längst andere Forderungen an den tragischen Dichter, und uns allen ist es schwer, unsere Neigung und Abneigung bei Beurtheilung eines Kunstwerks aus dem Spiel zu lassen. Daß wir es aber sollten und daß es zum Vortheil der Kunst gereichen würde, wenn wir unser Subject mehr verläugnen könnten, wirst Du mir eingestehn. 

Da ich übrigens selbst, von alten Zeiten her, an solchen Stoffen hänge, die das Herz interessieren, so werde ich wenigsten suchen, das eine nicht ohne das andere zu leisten; obgleich es der wahren Tragödie vielleicht gemäßer wäre, wenn man die Gelegenheit vermiede, eine Stoffartige Wirkung zu thun. 

Mein neues Stück wird auch durch den Stoff großes Interesse erregen, hier ist eine Hauptperson und gegen die, was das Interesse betrift, alle übrigen Personen, deren keine geringe Zahl ist, in keine Betrachtung kommen. Aber der Stoff ist der reinen Tragödie würdig, und wenn ich ihm durch die Behandlung soviel geben kann, als ich der Maria Stuart habe geben können, so werde ich viel Glück damit machen. 

Sei doch so gut mir, wenn Du kannst, einige Hexenprozeße und Schriften über diesen Gegenstand zu verschaffen. Ich streife bei meinem neuen Stück an diese Materie an und muß einige Haupt Motive daraus nehmen. – 

Wegen der Lauchstädter Partie erwarte ich nur von dorther Nachricht, wann eine neue Vorstellung der Maria angesetzt ist. Es würde mich herzlich erfreuen, euch wieder zu sehen. – 

Meine Frau, die heute erst von Rudolstadt wieder kam, grüßt euch alle herzlich. 

Dein 

S.


1 Antwort auf Körners Brief, der erst am 14. in Weimar ankam, also wohl vom 15. zu datieren.


Bemerkungen

1 Das Datum des Briefes stimmt nicht zu dem Termin des Eintreffens vom X. nach K.
Zu S. 171. Z. 24. Vgl. Nr. 1566.