Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar 5. May [Montag] 1800. 

Haben Sie Dank für Ihren lieben Brief, es war mir gar ungewohnt, solange nichts von Ihnen zu sehen und zu hören. So sehr ich Sie aber auch hier vermisse, so freut mich doch um Ihrentwillen die Zerstreuung die Sie sich nach dem langen Winter machen, und die Sie gewiß heiterer zurückführen wird. In Ihrer Abwesenheit habe ich mich, was das physische betrift, recht gut gehalten, ich bin viel im Freien gewesen, und fange nachgerade an, mich wie einen gefunden zu betrachten. Sonst habe ich in diesen Tagen mich damit beschäftigt, die vier ersten Akte der Maria für den Theaterzweck in Ordnung zu bringen und bin auch damit fertig, so daß ich jetzt schon den fünften Akt zur Hand genommen. Von Macbeth sind mehrere Proben gewesen, und ich hoffe alles Gute davon, doch wird die erste Vorstellung erst am Mittwoch über 8 Tage stattfinden können. 

Sie werden unterdessen Cotta schon gesprochen, und sich von seinen Schicksalen unterrichtet haben. 

Die Schützische Replik auf Schellings Angriff wird Ihnen gleichfalls bekannt geworden seyn. Leider ist vorherzusehen, daß Schelling die Majorität nicht auf seiner Seite haben wird; es ist gar übel, wenn man Angriffsweise verfährt, sich viele Blößen zu geben. Er ist jetzt nach Bamberg abgereist, und wie ich höre, so ist ihm Madame Schlegel nachgezogen, die in Franken ein Bad besuchen will. 

Man sagte mir daß Kotzebue in einem neuen Stück, der Besuch, sich verschiedenes gegen die Propyläen herausgenommen habe. Wenn dem so ist, so hoffe ich, daß Sie den jämmerlich Menschen seine entsezliche Sottise werden fühlen lassen. 

Von Weimar weiß ich Ihnen nicht viel zu schreiben. Ich bin unterdessen einmal bei einem Thee und Souper im Palais gewesen, wo ich ¾ Stunden lang französische Verse anhören mußte. 

Ob Sie sich in Leipzig gleich nicht sehr geistreich unterhalten können, so muß Ihnen doch die Klarheit, die sie über diese irdischen Dinge haben, auch in dieser Existenz viel Vergnügen und Nutzen finden lassen. 

Die Beschreibung, die Sie von dem dortigen Theater geben, zeigt eine Stadt an, und ein Publikum, das wenigstens auch keinen Anspruch auf Kunst und Kunstrichterei macht und bloß amüsiert und gerührt seyn will. Es ist aber traurig, daß die dramatische Kunst in so schlechten Umständen sich befindet. Ich habe Opitzen meinen Macbeth angeboten, aber noch nichts von ihm gehört. 

Noch habe ich vernommen, daß zwischen Fridrich Schlegel, der kürzlich hier war, und Jean Paul eine große Freundschaft sich angeknüpft, und daß auch Seckendorf mit Schlegeln sich viel eingelassen und ihn bei sich bewirthet und geehrt habe. 

Richter ist jezt mit Herdern abgereißt, um sich von diesem copulieren zu lassen. 

Meine Frau grüßt Sie aufs freundlichste. Leben Sie gesund und kehren Sie erheitert zu uns zurück. 

Sch.


Bemerkungen

1 S. 152. Z. 11. B. habe ich mich in diesen Tagen damit etc. Z. 14. B. zur Hand. Z. 24. In B. fehlt „ihm“.
Zu S. 152. Z. 5. Goethe war in Leipzig. Zu Z. 16. Die erste Aufführung des Macbeth fand am 14. statt. Zu Z. 19. Vgl. zu Nr. 1577. Zu z. 26. Kotzebues Lustspiel: Der Besuch oder die Sucht zu glänzen erschien 1801. Darin kommt die Stelle vor:
Klementine: Sie kennen ohne Zweifel die Propyläen?
Seemann: Nein.
Klementine: Die müssen Sie kennen lernen, das sind die Vorhöfe des Tempels. Die gemeinsten Dinge werden darin auf eine neue Art, in einer neuen Sprache vorgetragen. Und eine Preisaufgabe – im Vertrauen, mein Herr, ich habe auch mit konkurrirt – ein Gemälde der Helena, wie sie von der Venus dem Paris vorgestellt wird – und ich schmeichle mir wirklich ein wenig mit der Hoffnung, den Preis davonzutragen.
Zu S. 153. Z. 1. Vgl. X. Zu Z. 10. Nach K. hatte Sch. am 26. April an Opitz geschrieben, und am 9. Mai traf Opitz’ Antwort vom 3. Mai ein, der aus den gleichen Gründen wie Iffland den Macbeth ablehnte. Vgl. Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 250. zu Z. 16. Jean Paul und seine Braut Karoline v. Feuchtersleben trafen mit Herder u. seiner Gattin am 2. Mai in Ilmenau zusammen, wo aber statt der Trauung die Lösung des Verhältnisses erfolgte (Düntzer).
Zu S. 153. Z. 22. Auch dieser Brief ist noch nach Leipzig gerichtet. Z. 23. Düntzer merkt an, der jemand sei die Vulpius, die Schiller sich zu nennen gescheut habe.
Zu S. 154. Z. 9. Schiller zog am 15. nach Ettersburg. Goethe kehrte erst am 16. Mai zurück. Vgl. Schriften der Goethe-Gesellsch. IV. 386.