Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar, 7. Dec. [Sonnabend] 99.

Es war mir sehr erfreulich heute noch von Ihnen zu hören. Die Pole an unserer magnetischen Stange haben sich jetzt umgekehrt und was Norden war ist jezt Süden. Die Ortveränderung habe ich übrigens noch nicht viel empfunden, weil es in den ersten Tagen soviel theils in meinem eignen Hause zu thun gab, theils noch alte Reste von Briefen und andern Expeditionen mußten abgethan werden, damit ich die neue Existenz auch neu beginnen kann. Nur dem Herzog habe ich mich vorgestern präsentiert und eine Stunde dort zugebracht. Den Inhalt des Gesprächs mündlich. 

Die Frau hat sich in diesen 5 Tagen gleichförmig wohl befunden, ohne die geringste Spur der vorigen Zustände, Gott gebe nun daß es auf dem guten Wege bleibe und die eintretenden Perioden kein Recidiv bewirken. 

Das bekannte Sonett hat hier eine böse Sensation gemacht und selbst unser Freund Meier hat die Damenwelt verführt, es in Horreur zu nehmen. Ich habe mich vor einigen Tagen sehr lebhaft dafür wehren müssen. Mich soll es im geringsten nicht befremden, wenn ich hier auch keine andere Erfahrung mache, als die des Widerspruchs mit dem Urtheil des Tages. 

Den Werth, welchen Eschenburg seiner neuen Ausgabe Shakespears nicht gab, wird nun wohl Schlegel der seinigen zu geben nicht zögern. Dadurch käme gleich ein neues Leben in die Sache und die Leser, die nur aufs curiose gehen, fänden hier wieder so etwas wie bei dem Wolfischen Homer. 

Fichte ist wie ich gehört nun in Jena angelangt, ich bin neugierig ob mit Ihrem Fuhrwerk. 

Wenn es nicht eine große Gefälligkeit misbrauchen heißt, so wünschte ich wohl mich der Wegbau-Pferde noch einmal bedienen zu dürfen, um alle meine in Jena noch zurückgebliebene Schränke und andre Sachen noch herüber zu schaffen, denn das hiesige Local fodert solche, und die weibliche Regierung besonders vermißt diese Bequemlichkeiten ungern. Ist es aber auch jezt nicht sogleich thunlich, so kann es noch einige Wochen damit anstehen. 

Mit großem Verlangen erwarte ich Sie morgen.

Leben Sie recht wohl u haben die Güte mich Griesbachs und Loders freundschaftlich zu empfehlen. 

Sch. 

[Adresse:] 
               Des Herrn 
   Geheimenrath von Göthe 
             Hochwohlgeb. 
                                      in 
      fr.                                 Jena.


Bemerkungen

1 Fehlt in K.
X. Vom 6. Dez. Z. Vom 9. Dez.
S. 116. Z. 4. Die Umkehrung war, daß Schiller in Weimar, Goethe in Jena war. Vgl. zu Nr. 1525. Zu Z. 17. Düntzer meint, es sei ein Sonett von Goethe gemeint, das sich wohl etwas derb gegen den Kunstdilettantismus ausgesprochen habe und citiert dazu eine Stelle aus Goethes Brief an Wilhelm Schlegel vom 2. April 1800: „In dankbarer Erwiderung Ihrer Sendung lege ich das erste der famosen Sonette bei; nach u. nach sollen die übrigen anlangen. Ueber dem Portal steht das gegenwärtige wahrlich nicht unbedeutend.“ Bezieht sich diese Stelle auf ein Sonett Goethes, so wäre Strehlkes Anmerkung zu Goethes Werke, Hempelsche Ausgabe III. 411 falsch, daß Goethe vor 1801 kein Sonett gedichtet habe. Auch Muncker verzeichnet unser Sonett im Verzeichnis seiner Ausgabe des Briefw. zwischen Schiller und Goethe: das Sonett gegen den Kunstdilettantismus als ein Gedicht Goethes. Schillers Worte in unserm Brief und Goethes lobende Worte im Briefe an Schlegel klingen mir freilich mehr, all ob es sich um ein Schillersches Sonett handelte. Zu Z. 28. Fichte kam aus Berlin, um mit seiner Familie dorthin überzusiedeln. Wie er mit Goethes Fuhrwerk kommen konnte, weiß ich nicht. Vielleicht hatte Goethe sich aus Berlin einen neuen Wagen bestellt.