Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, 26. Sept. [Donnerstag] 99.

Es ist nun ausgemacht, daß ich die nächsten Winterhalbjahre in Weimar zubringe; der Herzog hat mir 200 Thlr. Zulage gegeben1, und ich erhalte auch etwas Holz in natura, welches mir bei dem theuren Holzpreise in Weimar sehr zu statten kommt. Ich werde also verschiedene Veränderungen in meiner Lebensweise erleiden, und besonders mehr als bisher in Gesellschaft leben. Obgleich Weimar ein theurerer Ort ist als Jena, so kann ich von dem, was mich der dortige Aufenthalt auf 6 Monate jährlich mehr kostet, doch alles das abrechnen, was es mich in Jena kostete, ein kleines Haus zu machen. Denn da ich nicht ausgehe, so sah ich alles bei mir, und mußte oft bewirthen. Dies fällt in Weimar weg, und ich gewinne mithin die zugelegten 200 Thlr. ganz. 

Der Wallenstein hat uns auch noch ein ansehnliches Präsent in einem silbernen Caffeeservice eingetragen, von der regierenden Herzogin; und so haben sich die Musen diesmal gut aufgeführt. 

Der Almanach ist jetzt bald gedruckt, und die Umstände haben mich genöthigt, gegen meine Neigung, eine Pause in meiner dramatischen Arbeit zu machen, und einige Gedichte auszuführen. Morgen aber hoffe ich zu der theatralischen Muse wieder zurückzukehren. Leider erscheint diesmal von Goethe gar nichts im Almanach; alle Productivität hat ihn diesen Sommer verlassen. Er ist seit etlichen Wochen hier und läßt Euch grüßen. 

Es wäre recht schön, wenn Du mir Stoffe für dramatische Arbeiten zuführen könntest, denn an Stoffen fehlt mirs am meisten. Vor der Hand bin ich aber die historischen Sujets überdrüssig, weil sie der Phantasie gar zu sehr die Freiheit nehmen, und mit einer fast unausrottbaren prosaischen Trockenheit behaftet sind. 

Hast Du denn die Reden über die Religion2, die in Berlin herausgekommen sind, und Tiecks romantische Dichtungen gelesen? Beide Schriften las ich vor kurzem, weil man mich darauf neugierig machte, und ich fasse sie hier zusammen, weil es Berliner Producte sind, und gewissermaßen aus der nämlichen Coterie hervorgingen. Die erste ist, bei allem Anspruch auf Wärme und Innigkeit, noch sehr trocken im Ganzen, und oft prätensionirt geschrieben; auch enthält sie wenig neue Ausbeute. Tiecks Manier kennst Du aus dem gestiefelten Kater; er hat einen angenehmen romantischen Ton und viele gute Einfälle, ist aber doch viel zu hohl und zu dürftig. – Ihm hat die Relation zu Schlegels viel geschadet. 

Die Überbringerin dieses Briefs, eine Mlle. Blasch aus Rudolstadt, welche die fürstlichen Kinder erzieht, wünscht Eure Bekanntschaft zu machen. Sie ist eine verständige sehr schätzbare Person und wird den Frauen gewiß nicht mißfallen. 

Herzliche Grüße von Lotten an Euch alle. Ich habe vor 3 Wochen eine Reise mit ihr nach Rudolstadt und Weimar gemacht; wir sind erst seit 10 Tagen wieder hier3

Dein 

Sch.


1 Schiller hatte am 1. Sept. darum angehalten und schon am 11. hatte er die Bewilligung. So nach dem Kalender S. 81. Der Brief des Herzogs in „Carl Augusts erstes Anknüpfen mit Schiller. (Stuttg. 1857. Nr. 9) ist fälschlich vom 11. Juli 99 datirt, weil des Herzogs Abkürzung „11. 7br.“ unrichtig in Juli statt September umgeschrieben ist. – Das Service von der Herzogin erhielt Schiller am 13. Sept.
2 Von Schleiermacher.
3 Die Reise währte nach dem Kalender vom 4. bis 15. September.


Bemerkungen

1 Abgesandt nach K. d. 27. Sept.
X. Vom 14. Aug. (eingetr. d. 17.). Z. Vom 27. Okt. (eingetr. d. 31.).
Nach dem Druck erst habe ich H. verglichen. Darnach trage ich folgende Korrekturen nach: S. 87. Z. 14. 200 Rthlr. Z. 15. Das Komma nach „gegeben“ ist zu tilgen. Z. 16. Holzpreiß in W. Z. 18. bißher. Z. 20. Komma nach „dem“ ist zu tilgen. Z. 24. Dieß. Z. 25. 200 Rthlr. Z. 27. Kaffee Service. Z. 28. dießmal.
S. 88. Z. 2. Göthe. Z. 3. Productivität. Z. 4. euch. Z. 7. Sujets. Z. 9. Prosaischen. Z. 12. Berlin. – Tieks. Z. 15. Produkte sind und. Z. 16. nehmlichen Cotterie hervorgiengen. Die erste ist bei. Z. 17. im ganzen. Z. 18. praetensioniert geschrieben, auch. Z. 19. Tieks. – Kater, er. Z. 22. Relation zu Schlegels. Z. 23. Mlle Blasch aus Rudolstadt. Z. 24. eure. Z. 26. misfallen. Z. 27. an euch alle. Sie befindet sich bei ihrer Schwangerschaft leidlich, ich. Z. 29. gemacht, wir. Als Z. 30. einzuschalten: Lebe recht wohl und grüße Minna u. Dorchen herzlich von mir.
Zu S. 87. Z. 14. Vgl. zu Nr. 1496. Zu Z. 36. Schiller gab in den Musenalmanach auf 1800: Spruch des Konfucius. – Erwartung. – Das Lied von der Glocke.
Zu S. 88. Z. 5. Vgl. X. u. Z. Zu Z. 11. Die Reden von Schleiermacher. Zu Z. 23. Vgl. Z.
Der Brief, den Frl. Blasch überbrachte, ist wahrscheinlich Körner erst im Oktober eingehändigt.