Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 9. Aug. [Freitag] 99.

Zu den prosodischen Verbesserungen in den Gedichten gratulire ich. Zu dem lezten Artikel in unserm Schema, zur Vollendung, gehört unstreitig auch diese Tugend und der Künstler muß hierin etwas vom Punktierer lernen. Es hat mit der Reinheit des Silbenmaßes die eigene Bewandtniß, daß sie zu einer sinnlichen Darstellung der innern Nothwenigkeit des Gedankens dient, da im Gegentheil eine Licenz gegen das Silbenmaaß eine gewisse Willkürlichkeit fühlbar macht. Aus diesem Gesichtspunkt ist sie ein großes Moment und berührt sich mit den innersten Kunstgesetzen. 

In Rücksicht auf den jetzigen Zeitmoment muß es jeden der für den guten Geschmack interessiert ist, freuen, daß Gedichte, welche einen entschiednen Kunstwerth haben, sich auch noch diesem Maaßstab unterwerfen. So wird die Mittelmäßigkeit am beßten bekämpft, denn sowohl der welcher kein Talent hat als correcte Verse zu machen und bloß für das Ohr arbeitet, als auch der andre, welcher sich für zu original hält, um auf das Metrum den gehörigen Fleiß zu wenden, werden dadurch zum Schweigen gebracht. 

Weil aber die prosodische Gesetzgebung selbst noch nicht durchaus im klaren ist, so werden immer bei dem besten Willen streitige Punkte in der Ausführung übrig bleiben und da Sie einmal über die Sache so viel nachgedacht so thäten Sie vielleicht nicht übel, wenn Sie in einer Vorrede oder wo es schicklich ist, Ihre Grundsätze darüber aussprächen, daß man das für keine bloße Licenz oder Uebertretung halte, was aus Principien geschieht. 

Der Gedanke einige Kupfer zu dem Werke zu geben ist recht gut. sie können gut bezahlt und folglich auch gut gemacht werden; aber ich wäre dafür, daß Sie der allgemeinen Neigung so weit nachgäben und keine andre als individuelle Darstellungen wählten. Die Catastrophe der Braut ist sehr passend, auch aus Alexis und Dora, aus den römischen Elegien und den venetianischen Epigrammen ließen sich Gegenstände wählen, wofür unser Freund Meier vorzüglich berufen wäre.

Ich bin recht verlangend zu erfahren, wie weit Sie, wenn Sie hieher kommen, in diesem RedactionsGeschäft gelangt sind. Einzelne Streitfragen in Absicht auf das metrische werden uns angenehm und lehrreich beschäftigen. 

Nicht weniger verlangend bin ich, Ihnen alsdann auch meine bisherigen Acta vorzulegen, worüber ich selbst noch keine gültige Stimme habe. Lebhaft aber fühle ich mit jedem Tage das Bedürfniß theatralischer Anschauungen und werde mich schlechterdings entschließen müssen, die Wintermonate in Weimar zuzubringen. Die oekonomischen Mittel zu Realisierung dieser Sache sollen mich zunächst beschäftigen. 

Leben Sie nun recht wohl in Ihrer Einsamkeit. Ob und wann ich meine kleine Reise antrete, kann ich heut noch nicht bestimmen. Die Frau grüßt Sie aufs beste. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 67. Z. 13. Goethe hatte in X. geschrieben, daß er die Verse, namentlich die daktylischen, in seinen Gedichten zu verbessern suche.
Zu S. 68. Z. 8. Meyer wollte, wie Goethe in X. berichtet hatte, einige Kupfer zu Goethes Gedichten liefern, und zwar einige „unmittelbaren Bezugs“, z. B. die Katastrophe der Braut von Corinth und einige symbolische.