Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 2. Aug. [Freitag] 99.

Ich wünsche Ihnen Glück zum Auszug in den Garten, von dem ich mir gute Folgen für die Produktive Thätigkeit verspreche. Nach der langen Pause die Sie gemacht, wird es nur der Einsamkeit und ruhigen Sammlung bedürfen, um den Geist zu entbinden. 

Indem Sie Miltons Gedicht vor die Hand genommen, habe ich den Zeitraum in dem es entstanden und durch den es eigentlich wurde, zu durchlaufen Gelegenheit gehabt. So schrecklich die Epoche war, so muß sie doch für das dichterische Genie erweckend gewesen seyn, denn der Geschichtschreiber hat nicht unterlassen mehrere in der englischen Poesie berühmte Namen unter den handelnden Personen aufzuführen. Hierin ist jene Revolutionsepoche fruchtbarer als die französische gewesen, an die sie einen sonst oft erinnert. Die Puritaner spielen so ziemlich die Rolle der Jacobiner, die Hülfsmittel sind oft dieselben und eben so der Ausschlag des Kampfs. Solche Zeiten sind recht dazu gemacht Poesie und Kunst zu verderben, weil sie den Geist aufregen und entzünden, ohne ihm einen Gegenstand zu geben. Er empfängt dann seine Objekte von innen und die Mißgeburten der Allegorischen, der Spitzfindigen und Mystischen Darstellung entstehen. 

Ich erinnere mich nicht mehr, wie Milton sich bei der Materie vom freien Willen heraushilft, aber Kants Entwicklung ist mir gar zu mönchisch, ich habe nie damit versöhnt werden können. Sein ganzer Entscheidungsgrund beruht darauf, daß der Mensch einen positiven Antrieb zum Guten, so wie zum sinnlichen Wohlseyn habe; er brauche also auch, wenn er das Böse wählt, einen positiven innern Grund zum Bösen, weil das Positive nicht durch etwas bloß Negatives aufgehoben werden könne. Hier sind aber zwei unendlich heterogene Dinge, der Trieb zum Guten und der Trieb zum sinnlichen Wohl völlig als gleiche Potenzen und Quantitäten behandelt, weil die freie Persönlichkeit ganz gleich gegen und zwischen beide Triebe gestellt wird. 

Gottlob, daß wir nicht berufen sind, das Menschengeschlecht über diese Frage zu beruhigen, und immer im Reich der Erscheinung bleiben dürfen. Uebrigens sind diese dunkle Stellen in der Natur des Menschen für den Dichter und den tragischen ins besondre nicht leer, und noch weniger für den Redner, und in der Darstellung der Leidenschaften machen sie kein kleines Moment aus. 

Sagen Sie mir doch in Ihrem nächsten Brief, wann man ohngefehr den Herzog in Weimar zurück erwartet und also Ihre eigene Hieherkunft in Jena bestimmen kann. Ich wünschte es darum zu wissen, weil eine kleine Reise davon abhängen könnte, die ich vielleicht mit meiner Frau auf ein paar Tage mache, und um derentwillen ich nicht gern einen Tag Ihres Hierseyns versäumen möchte. 

Die Frau dankt Ihnen herzlich für Ihren Antheil.

Leben Sie recht wohl und erfreuen Sie mich bald mit der Nachricht, daß die poetische Stunde geschlagen hat. 

Sch.


Bemerkungen

1 Den Inhalt erklären X. u. Z.