Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 30. Jul. [Dienstag] 99.

Ich habe Sie am Sonnabend mit fester Zuversicht erwartet, und deßwegen auch den Philosophenklubb absagen lassen, um den ersten Abend desto ungestörter mit Ihnen zuzubringen. Desto betrübter war ich als ich aus Ihrem Brief meine Hofnung zerrinnen und ganz ins unbestimmte wieder sich verlieren sah. 

Mir bleibt nun nichts übrig, als mich, so lang es gehen will, in das Producieren zu werfen, weil die Mittheilung mangelt. Ich bin auch schon ganz ernstlich im Zweiten Akte bei meiner königlichen Heuchlerin. Der erste ist abgeschrieben und erwartet Sie bei Ihrer Ankunft. 

Sie haben wohl recht, daß man sich der theoretischen Mittheilung gegen die Menschen lieber enthalten und hervorbringen muß. Das theoretische setzt das praktische voraus und ist also schon ein höheres Glied in der Kette. Es scheint auch, daß eine selbstständigere Imagination dazu gehört, als um die wirkliche Gegenwart eines Kunstwerks zu empfinden, bei welchem der Dichter und Künstler der trägern oder schwächern Einbildungskraft des Zuhörers und Betrachters zu Hilfe kommt, und den sinnlichen Stoff liefert. 

Auch ist nicht zu läugnen, daß die Empfindung der meisten Menschen richtiger ist als ihr Raisonnement. Erst mit der Reflexion fängt der Irrthum an. Ich erinnre mich auch recht gut mehrerer unserer Freunde, denen ich mich nicht schämte, durch eine Arbeit zu gefallen, und mich doch sehr hüten würde, ihnen Rechenschaft von ihrem Gefühl abzufordern. 

Wenn dieß auch nicht wäre, wer möchte ein Werk ausstellen mit dem er zufrieden ist? Und doch kann der Künstler und Dichter dieser Neigung nicht Herr werden. 

Die zwey Damen haben mich neulich wirklich besucht und für sie zu Hause gefunden. Die kleine hat eine sehr angenehme Bildung, die selbst durch ihren Fehler am Aug nicht ganz verstellt werden konnte. Sie gaben mir den Trost, daß die Furcht vor der Schnecke die alte Großmutter wohl von der Herreise abschrecken würde. Von dem eleganten Diner bei Ihnen wußten sie viel zu erzählen. Der Relation, welche Meier von diesen Erscheinungen machen wird, seh’ ich mit Begierde entgegen. 

Die Frau grüßt Sie aus beste. Sie ist auch in einer Crisis, auf ihre Weise, und wird mir um einige Monate zuvorkommen. Leben Sie recht wohl und möge ein guter Geist uns bald zusammen führen.

Ich vergaß von den neulich überschickten Sachen zu schreiben. Das Jacobische Werk habe ich noch nicht recht betrachtet, aber das Gedicht ist lustig genug und hat scharmante Einfälle. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 61. Z. 13. Sonnabend war der 27. Juli. An diesem traf, vermutlich erst abends, Goethes Brief (X.) ein, daß er wieder nicht kommen könne.
Zu S. 62. Z. 10. Goethe hatte den besuch der La Rochischen Nachkommenschaft angekündigt. Die beiden Damen waren die Enkelinnen der La Roche Sophie und Adelgunde Brentano (Düntzer, Sch. u. Goethe S. 194). Sophie war die kleine. Düntzer citiert auch aus der Schrift der La Roche: „Schattenrisse abgeschiedener Stunden in Offenbach, Weimar und Schönebeck im Jahre 1799“ ihren Bericht über das Goethesche Diner: „Die mit Blumen und Früchten aller Art so reich verzierte Tafel war gar nicht nach dem gewöhnlichen Geschmack der Gastmahle, und die Gegenwart der Verfasserin der reizenden Agnes von Lilien (Frau v. Wolzogen), der Dichterin der Gesänge von Lesbos (Frl. v. Imhoff). Wieland und Goethe, lauter Lieblinge des Apoll, konnten diese Vermutung (sie bekomme einen Anteil von Ambrosia) rechtfertigen. Eine aus dem Garten zwischen schönen Gewächsen ertönende Musik und die Erscheinung eines Amorino (des jungen Goethe) dienten zum Beweise, daß ich bei einer Art von Götterfest zugegen war.“ Zu Z. 14. Eine Hügelstrecke bei Jena. Zu Z. 16. Goethe hatte berichtet, daß auf Meyers reinen Sinn diese unnatürlichen Erscheinungen ganz neu und frisch wirkten. Vgl. X. Zu Z. 22. Goethe hatte mit X. zwei sonderbare Produkte mitgesandt: Jacobis Sendschreiben an Fichte und das Epos des Vicomte de Parny: La guerre des dieux anciens et modernes. (Vgl. Düntzer, Sch. u. Goethe S. 194.)