Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Frau von Kalb

[Weimar 20 April. Sonnabend. 1799.]

Charlottens Geist und Herz können sich nie verläugnen. Ein rein gefühltes Dichtwerk stellt jedes schöne Verhältniß wieder her, wenn auch die zufälligen Einflüsse einer beschränkten Wirklichkeit es zuweilen entstellen konnten. Die edle Menschlichkeit spricht aus dem gefühlten Kunstwerk zu einer edlen Menschlichen Seele, und die glückliche Jugend des Geistes kehrt zurück. 

Ihr Andenken, theure Freundinn, wird seinen vollen Werth für mich behalten. Es ist mir nicht bloß ein schönes Denkmal dieses heutigen Tages, es ist mir ein theures Pfand Ihres Wohlwollens und ihrer treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schöne Zeiten unserer Bekanntschaft zurück. Damals trugen Sie das Schicksal meines Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unentwickeltes, noch mit dem Stoffe unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das was ich war und was ich wirklich geleistet hatte, sondern durch das, was ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen werth. Ist es mir jetzt gelungen, Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen, und Ihren Antheil an mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie viel ich davon jenem schönen und reinen Verhältnisse schuldig bin. 

Sch.


Bemerkungen

1 Der Brief ist die Antwort auf Zeilen der Frau v. Kalb, die sie offenbar gleich nach der Aufführung des Wallensteins, die am 20. April stattfand, schrieb. Schillers Antwort wird also nach den Worten S. 25. Z. 25. auch noch am 20. April abends geschrieben sein. Speidel u. Wittmann (S. 308) datieren den Brief vom 22. April.