Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 5. [Dienstag] März 1799.

Es hat mich diesen Winter oft geschmerzt, Sie nicht so heiter und muthvoll zu finden, als sonst, und eben darum hätte ich mir selbst etwas mehr Geistesfreiheit gewünscht, um Ihnen mehr seyn zu können. Die Natur hat Sie einmal bestimmt, hervorzubringen; jeder andere Zustand, wenn er eine Zeitlang anhält, streitet mit Ihrem Wesen. Eine so lange Pause, als Sie dasmal in der Poesie gemacht haben, darf nicht mehr vorkommen, und Sie müssen darinn ein Machtwort aussprechen und ernstlich wollen. Schon deßwegen ist mir Ihre Idee zu einem didaktischen Gedichte sehr willkommen gewesen; eine solche Beschäftigung knüpft die wißenschaftlichen Arbeiten an die poetischen Kräfte an und wird Ihnen den Uebergang erleichtern, an dem es jetzt allein zu fehlen scheint. 

Wenn ich mir übrigens die Masse von Ideen und Gestalten denke, die Sie in den zu machenden Gedichten zu verarbeiten haben und die in Ihrer Phantasie lebendig liegen, so daß ein einziges Gespräch sie hervorrufen kann, so begreife ich gar nicht, wie Ihre Thätigkeit auch nur einen Augenblick stocken kann. Ein einziger dieser Plane würde schon das halbe Leben eines andern Menschen thätig erhalten. Aber Ihr Realism zeigt sich auch hier; wenn wir andern uns mit Ideen tragen und schon darinn eine Thätigkeit finden, so sind Sie nicht eher zufrieden, als biß Ihre Ideen Existenz bekommen haben. 

Das Frühjahr und der Sommer werden alles gut machen, Sie werden sich nach der langen Pause desto reicher entladen, besonders wenn Sie den Gesang aus der Achilleis gleich vornehmen, weil dadurch eine ganze Welt in Bewegung gesetzt wird. Ich kann jenes kurze Gespräch, wo Sie mir den Innhalt dieses ersten Gesangs erzählten, noch immer nicht vergeßen, so wenig als den Ausdruck von heiterm Feuer und aufblühendem Leben, der sich bei dieser Gelegenheit in Ihrem ganzen Wesen zeigte. 

Hier wieder ein Brief von Ubique. Der Mensch kann doch nicht ruhen sich in anderer Affairen zu mischen. Und seine schreckliche Saalbaderey über Wallenstein und die Weiber des Stücks. Ich werde mein Stück nicht dazu hergeben, Schröders Müthlein and en Hamburger Schauspielern zu kühlen. 

Opitz will die Stücke für die Leipziger Bühne haben. Seien Sie doch so gütig mir mit dem Botenmädchen die Piccolomini zu schicken, die das Theater jetzt nicht braucht. Ich muß sie abschreiben lassen. 

Von Ifland habe ich noch nichts gehört, wohl aber erfuhr ich auf einem andern Weg daß Ifland die erste Vorstellung der Piccolomini nach dem unverkürzten Exemplar gegeben, daß sie biß halb Eilf soll gewährt haben, und daß er bei der zweiten Vorstellung gezwungen gewesen, das abgekürzte Stück zu geben und solches auch auf dem Comödienzettel anzukündigen. Es ist mir sehr verdrießlich, und da er die Länge des Stücks aus den Proben recht gut muthmaaßen konnte, so ist es sehr ungeschickt von ihm gewesen. Er soll den Octavio gespielt haben, wie Bötticher schreibt, Thecla sei von Mad. Fleck gespielt worden. Vom Succeß selbst habe ich noch nichts gehört, wahrscheinlich kam die Nachricht, die mir Gries mittheilte, aus dem Schlegelischen Hause.

Auf den Freitag sende ich die 2 ersten Akte des Wallensteins. An Ifland sende ich nichts biß er mir geschrieben hat.

Leben Sie recht wohl und erheitern Sie sich trotz des wiederkehrenden Winters, der hier sehr traurig aussieht. Herzlich grüßen wir Sie beide. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 15. Z. 3. Goethe hatte in X. geschrieben: „Übrigens bin ich vom schlimmsten Humor, der sich auch wohl nicht verbessern wird bis irgend eine Arbeit von Bedeutung wieder gelungen sein wird.“ Zu Z. 30. Das Gespräch wird etwa im Mai 1798 stattgehabt haben, wo Goethe sich mit dem Schema zur Achilleis beschäftigte. Den Plan, sie als Epos zu bearbeiten, erwähnt Goethe zuerst im Briefe vom 27. Dez. 1797 an Sch.
Zu S. 16. Z. 3. Böttigers Brief vom 3. März (Arch. f. Litt. gesch. XV. 305). Zu Z. 6. Schröder hatte sich in Hamburg mit den Theaterleitern überworfen. Er plante nun, diesen zum Ärger, den Wallenstein nicht in Hamburg zu spielen, sondern anderswo, oder Böttiger plante es für ihn. Zu Z. 8. Vgl. Opitz, Br. an Sch. vom 20. Febr. (eingetr. d. 2. März). Urlichs, Brfe. an Sch. S. 310. Zu Z. 13. Die erste Aufführung der Piccolomini in Berlin hatte am 18. Febr. stattgefunden. Ifflands Bericht traf am 7. März bei Sch. ein. Er ist mir nicht bekannt. Zu Z. 23. Gries lebte damals noch in Jena.