Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 28. Aug. [Dienstag] 98. 

Es war mein Vorsatz, Ihnen heute meinen Glückwunsch zum Geburtstag selbst zu überbringen, aber weil ich zu spät aufstand und mich auch nicht wohl fühlte, so mußte das gute Vorhaben für heute aufgegeben werden. Wir haben aber mit herzlicher Theilnehmung Ihrer gedacht, und uns besonders der Erinnerung an alles das Gute überlassen, was durch Sie bei uns gegründet worden ist. 

Ich bin in diesen Tagen von einem Besuch überrascht worden, dessen ich mich nicht versehen hätte. Fichte war bei mir und bezeigte sich äuserst verbindlich. Da er den Anfang gemacht hat, so kann ich nun freilich nicht den spröden spielen, und ich werde suchen, dieß Verhältniß, das schwerlich weder fruchtbar noch anmuthig werden kann, da unsere Naturen nicht zusammenpaßen, wenigstens heiter und gefällig zu erhalten. 

Was Ihnen mit den griechischen Sprüchwörtern zu begegnen pflegt, dieß Vergnügen verschafft mir jetzt die Fabelsammlung des Hyginus, den ich eben durchlese. Es ist eine eigene Lust, durch diese Mährchengestalten zu wandeln, welche der poetische Geist belebt hat, man fühlt sich auf dem heimischen Boden und von dem größten Gestaltenreichthum bewegt. Ich möchte deßwegen auch an der nachläßigen Ordnung des Buchs nichts geändert haben, man muss es gerade rasch hintereinander durchlesen, wie es kommt, um die ganze Anmuth und Fülle der griechischen Phantasie zu empfinden. Für den tragischen Dichter stecken noch die herrlichsten Stoffe darinn, doch ragt besonders die Medea vor, aber in ihrer ganzen Geschichte und als Cyclus müßte man sie brauchen. Die Fabel von Thyest und der Pelopia ist gleichfalls ein vorzüglicher Gegenstand. Im Argonautenzug finde ich doch noch mehrere Motive, die weder in d Odyßee noch Ilias vorkommen, und es dünkt mir doch, als ob hierinn noch der Keim eines epischen Gedichtes stäke.

Merkwürdig ist es, wie dieser ganze mythische Cyclus, den ich jetzt übersehe, nur ein Gewebe von Galanterien und wie sich Hyginus immer bescheiden ausdrückt, von Compressibus ist, und alle großen und furchtbaren Motive davon hergenommen sind, und darauf ruhen.

Es ist mit eingefallen, ob es nicht eine recht verdienstliche Beschäftigung wäre, die Idee welche Hyginus im rohen und für ein anderes Zeitalter ausgeführt hat, mit Geist und mit Beziehung auf das, was die Einbildungskraft der jetzigen Generation fodert, neu auszuführen, und so ein griechisches Fabelbuch zu verfertigen, was den poetischen Sinn wecken und dem Dichter sowohl als dem Leser sehr viel Nutzen bringen könnte. 

Ich lege hier 2 Aushängebogen des Almanachs bei. Der dritte folgt nächstens. 

Meine Frau grüßt Sie aufs beßte. Leben sie recht wohl. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 421. Z. 15. Fichtes Besuch fiel nach K. auf den 25. Aug. Zu Z. 22. Vgl. Goethes Brief vom 16. Dez. 1797, mit dem er den Hygin an Sch. gesandt hatte.