Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 25. Junius [Montag] 98. 

Ich kann mich noch nicht recht an Ihre längere Entfernung gewöhnen und wünsche nur, daß diese nicht länger dauren möchte, als Sie jetzt meinen. 

Die Briefe an Humboldt werden nun wohl eine Verzögerung erleiden, wenigstens auf den Fall, daß wir sie zusammen absenden wollten. Ich will deßwegen mit der MittwochsPost schreiben, und ihm vorläufig ein Lebenszeichen und ein Trostwort senden. In ein Detail kann ich mich dießmal nicht einlassen, besonders da ich das Mscrpt nicht habe, welches in Ihrer Verwahrung ist. 

Die verlangten Gedichte folgen hier. 

Auch das Drama folgt zurück; ich habe es gleich gelesen und bin in der That geneigt günstiger davon zu denken, als Sie zu denken scheinen. Es erinnert an eine gute Schule ob es gleich nur ein Dilettantisches Produkt ist, und kein Kunsturtheil zuläßt. Es zeugt von einer sittlich gebildeten Seele, einem schönen und gemäßigten Sinn und von einer Vertrautheit mit guten Mustern. Wenn es nicht von weiblicher Hand ist, so erinnert es doch an eine gewisse Weiblichkeit der Empfindung, auch insofern ein Mann diese haben kann. Wenn es von vielen Longeurs und Abschweifungen, auch von einigen, zum Theil schon angestrichenen, gesuchten Redensarten befreit seyn wird u wenn besonders der letzte Monolog, der einen unnatürlichen Sprung enthält, verbeßert seyn wird, so läßt es sich gewiß mit Interesse lesen. 

Wenn ich den Autor wißen darf, so wünsche ich, Sie nennten mir ihn. 

Auch die Horen folgen hier. Sehen Sie doch die 2 Idyllen darinn ein wenig an. Die erste haben Sie schon im Mscrpt gelesen und einige Verbeßerungen darinn angegeben. Diese Verbeßerungen hat man darinn vorgenommen und Ihr Rath ist, so weit es sich thun ließ befolgt worden. 

Leben Sie recht wohl. Ich habe heute den Wall. aus der Hand gelegt und werde nun sehen, ob der lyrische Geist mich anwandelt. 

Meine Frau grüßt Sie aufs beßte. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 391. Z. 28. Das Drama war Goethes Elpenor, das Goethe in X. übersandt hatte mit den Worten: „Ich bin recht neugierig, was Sie diesem unglücklichen Produkte für eine Nativität stellen.“
Zu S. 392. Z. 12. Es sind die beiden Idylle von der Luise Brachmann: Die Kapelle im Walde und Magellone u. der Ritter von Massilia. (Die erstere sowie die Romanze im 12. Horenheft, die Nonne, die auch von der Brachmann ist, wurden früher Lotte Schiller zugeschrieben, so auch wieder in Fuldas Leben Charlottens von Schiller.)