Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 4. May [Freitag] 98. 

Meine Frau hat mir von Ihrer freundschaftlichen Aufnahme, von der bunten lebhaften Gesellschaft bei Ihnen und von Iflands lustigem Apotheker sehr viel zu erzählen u zu rühmen gewußt. In solchen närrischen Originalen ist es eigentlich, wo mich Ifland immer entzückt hat, denn das Naturelle thut hier soviel, alles scheint augenblicklicher Einfall und Genialität, daher ist es unbegreiflich und man wird zugleich erfreut und außer sich gesetzt. Hingegen in edeln, ernsten und empfindungsvollen Rollen bewundre ich mehr seine Geschicklichkeit, seinen Verstand, seinen Calcul und Besonnenheit. Hier ist er mir immer bedeutend, planvoll, und beschäftigt und spannt die Aufmerksamkeit und das Nachdenken, aber ich kann nicht sagen, daß er mich in solchen Rollen eigentlich entzückt oder hingerissen hätte, wie von weit weniger vollkommenen Schauspielern geschehen ist. Daher würde er mir, für die Tragödie, kaum eine poetische Stimmung geben können.

Ich weiß kaum wie ich es mit Schrödern halten soll, und bin beinahe entschloßen, die ganze Idee von der Repraesentation des Wallensteins fallen zu lassen. So zeitig mit der ganzen völligen Ausführung fertig zu werden, daß er den Wallenstein im September oder Anfang Oktober spielen kann ist nicht möglich; denn Schröder muß nach seiner eignen Erklärung gegen Bötticher mehrere Monate zum Einlernen einer solchen Rolle haben, und würde also das Stück in der Mitte des Julius spätestens haben müssen. Bis dahin könnte ich zwar zur Noth eine Skitze des Ganzen, die für das Theater hinreichte fertig bringen, aber diese eilfertige und auf einen äußern Zweck gerichtete Art zu arbeiten würde mir die reine Stimmung für eine ruhige Ausführung verderben. Dazu kommt, daß selbst bei Schröders Anwesenheit einige Haupt-Rollen im Stück gar zu sehr verunglücken würden, dem ich mich lieber nicht aussetzen will. Wie Sie selbst schreiben, so sind die guten Schauspieler nur, und im glücklichsten Fall, passive Kanäle oder Referenten des Texts, und das wäre mir doch um meine zwey Piccolominis und meine Gräfin Terzky besonders leid. Ich denke daher, meinen Gang frey und ohne bestimmte Theaterrücksichten fortzusetzen und mir wo möglich die Stimmung zu bewahren. Ist der Wallenstein einmal fertig und gedruckt, so interessiert er mich nicht mehr, und alsdann kann ich auf so etwas noch eher denken. 

Daß wir Sie nun bald wieder hier haben werden freut mich sehr. Es wäre wohl nicht übel, wenn wir bei Ihrem nächsten Hierseyn den Homer zusammen läsen. Die schöne Stimmung nicht zu rechnen, die Ihnen das zu Ihrer Arbeit gäbe, würde es uns auch die schönste Gelegenheit zu einem Ideenwechsel darbieten, wo das wichtigste in der Poesie nothwendig zur Sprache kommen müßte. So setzten wirs alsdann künftig mit den Tragikern und andern fort. 

Ich bin noch in der Stadt und werde bei dem gegenwärtig zweifelhaften Wetter erst abwarten, eh ich ausziehe. Wenn Ihr Barometer mir etwas bestimmtes prognosticieren kann, so will ich mich darnach richten. 

Meine Frau grüßt Sie aufs beste. Leben Sie recht wohl. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 377. Z. 5. Der taube Apotheker (die verstellte Kranke) von Goldoni: Zu Z. 10. Goethe war vom 20.-31. Mai wieder in Jena.