Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 2. März [Freitag] 98. 

Ich habe es in diesen schönen Tagen einmal wieder mit der frischen Luft versucht und mich recht wohl dabey befunden. Es ist wirklich Schade, daß Sie gerade jetzt nicht hier seyn können, gewiß würde sich die Muse jetzt bald bei Ihnen einstellen. 

Was Sie über die Franzosen, und ihren emigrierten, aber immer gleich würdigen Repräsentanten Mounier schreiben, ist sehr wahr und so kläglich es auch an sich ist, so freut es einen, weil es so nothwendig zu dem ganzen Begriff dieser Existenz gehört, und man sollte immer nur rein die Naturen auffassen, so würde man auch gleich die Systeme rein demonstriert sehen. Es ist wirklich der Bemerkung werth, daß die Schlaffheit über aesthetische Dinge immer sich mit der moralischen Schlaffheit verbunden zeigt, und daß das reine strenge Streben nach dem hohen Schönen, bei der höchsten Liberalität gegen alles was Natur ist, den Rigorism im moralischen bey sich führen wird. So deutlich scheiden sich die Reiche der Vernunft und des Verstandes und diese Scheidung behauptet sich nach allen Wegen und Richtungen, die der Mensch nur nehmen kann. 

Mounier ist mir ein würdiger Pendant zu Garven, der sich auch einmal auf ähnliche Art gegen Kant prostituierte. 

Gestern habe ich nun im Ernst das französische Bürger Diplom erhalten, wovon schon vor 5 Jahren in den Zeitungen geredet wurde. Es ist damals ausgefertigt und von Roland unterschrieben worden. Weil aber der Name falsch geschrieben und nicht einmal eine Stadt oder Provinz auf der Adresse stand, so hat es freilich den Weg nicht zu mir finden können. Ich weiß nicht wie es jetzt noch in Bewegung kam, aber kurz, es wurde mir geschickt und zwar durch Campe in Braunschweig, der mir bei dieser Gelegenheit die schönsten Sachen sagt.

Ich halte dafür, es wird nicht ganz übel seyn, wenn ich es dem Herzog notifiziere, und um diese Gefälligkeit ersuche ich Sie, wenn es Sie nicht beschwert. Ich lege deßwegen die Acta bey. Daß ich als ein deutscher Publicist darin erscheine, wird Sie hoffentlich auch belustigen. 

Leben Sie recht wohl. Ich habe einen Posttag und noch allerley abzufertigen. Meine Frau grüßt schön. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 352. Z. 32. Goethe hatte in X. sich über Mounier moquiert, der auf Fragen, die über bloße Verstandesbegriffe hinausgingen, nach der Art der Franzosen, zwar immer ein Wort in Bereitschaft hätten, aber sich wenig darum bekümmerten, ob es ihrer ersten Assertion widerspreche oder nicht.
Zu S. 353. Z. 14. Goethe hatte in X. auch gemeldet, daß Mounier Kants Ruhm in die Luft sprengen wolle und es sehr übel genommen habe, daß Kant die Lüge unter allen Bedingungen für unsittlich erkläre. Zu Z. 15. Vgl. Nr. 1321.