Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 23. Febr. [Freitag] 98. 

Bei der Art wie Sie jetzt Ihre Arbeiten treiben haben Sie immer den schönen doppelten Gewinn, erstlich die Einsicht in den Gegenstand und dann zweitens die Einsicht in die Operation des Geistes, gleichsam eine Philosophie des Geschäfts, und das letzte ist fast der größere Gewinn, weil eine Kenntniß der Geisteswerkzeuge und eine deutliche Erkenntniß der Methode den Menschen schon gewissermaaßen zum Herrn über alle Gegenstände macht. Ich freue mich sehr darauf, wenn Sie hieher kommen, gerade über dieses allgemeine in Behandlung der Empirie recht viel zu lernen und nachzudenken. Vielleicht entschließen Sie sich dieses Allgemeine, an der Spitze Ihres Werks, recht ausführlich abzuhandeln und dadurch dem Werke, sogar unabhängig von seinem besondern Innhalt, einen absoluten Werth für alle diejenigen, welche über Naturgegenstände nachdenken, zu verschaffen. Baco sollte Sie billig dazu verschaffen. 

Was Ihre Anfrage wegen des Sylbenmaaßes betrift, so kommt freilich das meiste auf den Gegenstand an, wozu Sie es brauchen wollen. Im allgemeinen gefällt mir dieses Metrum auch nicht, es leiert gar zu einförmig fort, und die feierliche Stimmung scheint mir unzertrennlich davon zu seyn. Eine solche Stimmung ist es wahrscheinlich nicht, was Sie bezwecken. Ich würde also die Stanzen immer vorziehen, weil die Schwierigkeiten gewiß gleich sind, und die Stanzen ungleich mehr Anmuth haben. 

Ich erfahre über Paris (durch Humboldt) daß Schlegels Jena verlassen und nach Dresden ziehen wollen. Haben Sie vielleicht auch davon gehört? 

Nach dem, was meine Frau mir sagte, hat Brinkmann in Weimar gar großes Glück gemacht, und besonders am verwittweten Hofe. Er ist ein sehr unterhaltender Mensch in Gesellschaft und schlau genug, das Geistreiche und das Triviale an beiden Enden zusammenzuknüpfen.

Humboldt schreibt mir auch das Urtheil, welches Voss über Ihren Hermann gefällt hat: er hat es von Vieweg, der jetzt in Paris ist. „Er habe gefürchtet, sagt Voß, der Herrmann würde seine Louise in Vergeßenheit bringen. Das sei nun zwar nicht der Fall, aber er enthalte doch einzelne Stellen, für die er seine ganze Louise hingeben würde. Daß Sie im Hexameter die Vergleichung mit ihm nicht aushalten könnten, sei Ihnen nicht zu verdenken, da dieß einmal seine Sache sey, aber doch finde er daß Ihre neuesten Hexameter viel vollkommener seyen“ – Man sieht, daß er auch keine entfernte Ahndung von dem innern Geist des Gedichts und folglich auch keine von dem Geist der Poesie überhaupt haben muß, kurz keine allgemeine und freie Fähigkeit, sondern lediglich seinen Kunsttrieb, wie der Vogel zu seinem Nest und der Biber zu seinen Häusern. 

Leben Sie recht wohl. Meine Frau will auch noch etwas beilegen. 

S. 

Humboldts Brief kann ich nicht sogleich finden, ich will ihn ein andermal schicken.


Bemerkungen

1 Zu S. 349. Z. 17. Der Gegenstand ist die Farbenlehre. Zu Z. 29. Goethe hatte geschrieben, daß er zum Baco wiederum ein großes Zutrauen gewonnen habe. Zu Z. 30. Goethe hatte um Schs. Gedanken über die Versart gebeten, in der der Schlegelsche Prometheus geschrieben. Er wolle es vielleicht anstatt der Stanzenform, an die er erst gedacht, verwenden.
Zu S. 350. Z. 8. Sch. hatte am 18. Febr. einen Brief v. Humboldt erhalten. Zu Z. 11. Goethe fand diese Schilderung des Schweden Brinkmann trefflich. Zu Z. 18. Vgl. Goethe an Sch. vom 28. Febr. 1798.