Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 13. Febr. [Dienstag] 98. 

Ich suchte mich über Ihr längeres Ausbleiben durch meinen Fleiß und durch die Aussicht zu trösten, Ihnen desto mehr von meiner Arbeit vorlegen zu können, aber die Jahrszeit und die unordentliche Witterung ist mir gar nicht günstig und hindert alle meine Fortschritte, einer lebhaften Neigung und guten Stimmung zum Trotze. Der Kopf ist mir wieder seit fast 8 Tagen von einem Catarrhalischen Zufall angegriffen und das alte Uebel plagt mich auch. Um mein Gemüth frisch zu erhalten, darf ich an meine gegenwärtige Arbeit nicht einmal denken, ich beschäftige mich mit dem Gedanken an eine entferntere und mit allgemeinen Ideen. 

Da ich seit diesem Winter viele Reisebeschreibungen las, so habe ich mich nicht enthalten können, zu versuchen, welchen Gebrauch der Poet von einem solchen Stoffe wohl möchte machen können, und bei dieser Untersuchung ist mir der Unterschied zwischen einer epischen und dramatischen Behandlung neuerdings lebhaft geworden. 

Es ist keine Frage, daß ein Weltentdecker oder Weltumsegler wie Cook einen schönen Stoff zu einem epischen Gedichte entweder selbst abgeben oder doch herbeiführen könnte, denn alle Requisite eines epischen Gedichts, worüber wir übereingekommen, finde ich darinn, und auch das wäre dabey sehr günstig, daß das Mittel dieselbe Dignität und selbständige Bedeutung hätte, wie der Zweck selbst, ja daß der Zweck mehr des Mittels wegen da wäre. Es ließe sich ein gewisser menschlicher Kreis darinn erschöpfen, was mir bei einem Epos wesentlich däucht, und das physische würde sich mit dem moralischen zu einem schönen Ganzen verbinden lassen. 

Wenn ich mir aber eben diesen Stoff als zu einem Drama bestimmt denke, so erkenne ich auf einmal die große Differenz beider Dichtungsarten. Da incommodiert mich die sinnliche Breite eben so sehr als sie mich dort anzog; das physische erscheint nun bloß als ein Mittel, um das moralische herbei zu führen; es wird lästig durch seine Bedeutung und den Anspruch den es macht, und kurz der ganze reiche Stoff dient nun bloß zu einem Veranlassungsmittel gewisser Situationen, die den innern Menschen ins Spiel setzen. 

Es nimmt mich aber wirklich Wunder, daß ein solcher Stoff Sie noch nicht in Versuchung geführt hat, denn hier finden Sie beinahe schon von selbst fertig, was so nöthig und doch so schwürig ist, nehmlich die persönliche und physische Wirksamkeit des natürlichen Menschen mit einem gewissen Gehalt den nur die Kunst ihm geben konnte vereinigt. Le Vaillant auf seinen afrikanischen Zügen ist wirklich ein poetischer Charakter und ein wahrhaft mächtiger Mensch, weil er mit aller Stärke der thierischen Kräfte und allen unmittelbar aus der Natur geschöpften Hilfsmitteln die Vortheile verbindet, welche nur die Kultur gewährt. 

Leben Sie wohl für heute. Ich werde eben, Nachts um acht Uhr, zum Mittagessen gerufen. Meine Frau grüßt schön. 

S.