Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 5. Januar [Freitag] 98. 

Meine Hauswirthe können den freundlichen Empfang den Sie bei Ihnen erfahren, und die schönen Sachen, die ihnen gezeigt worden sind, nicht genug rühmen. Wirklich wundre ich mich über den Antheil, womit der Alte über diese Kunstwerke spricht und der Künstler hat Ursache, sich seiner Wirkung auf eine solche Natur zu freuen. 

Es thut mir sehr leid, daß Ihre Anherokunft so viele Verzögerungen findet, da ich nach einem frühern Brief von Ihnen schon vom Christtag an darauf rechnen konnte. Unterdessen habe ich einige Schritte weiter in meiner Arbeit gewonnen und bin im Stand, Ihnen viermal mehr als der Prolog beträgt, vorzulegen, obgleich noch nichts von dem III Akte dabey ist. 

Jetzt da ich meine Arbeit von einer fremden Hand reinlich geschrieben vor mir habe und sie mir fremder ist, macht sie mir wirklich Freude. Ich finde augenscheinlich, daß ich über mich selbst hinausgegangen bin, welches die Frucht unsers Umgangs ist; denn nur der vielmalige continuirliche Verkehr mit einer, so objektiv mir entgegenstehenden Natur, mein lebhaftes Hinstreben darnach und die vereinigte Bemühung, sie anzuschauen und zu denken, konnte mich fähig machen, meine subjectiven Grenzen so weit aus einander zu rücken. Ich finde, daß mich die Klarheit und die Besonnenheit, welche die Frucht einer spätern Epoche ist, nichts von der Wärme einer frühern gekostet hat. Doch es schickte sich besser, daß ich das aus Ihrem Munde hörte, als daß Sie es von mir erfahren. 

Ich werde es mir gesagt seyn lassen, keine andre als historische Stoffe zu wählen, frey erfundene würden meine Klippe seyn. Es ist eine ganz andere Operation, das realistische zu idealisieren, als das ideale zu realisieren, und letzteres ist der eigentlich Fall bei freien Fictionen. Es steht in meinem Vermögen, eine gegebene bestimmte und beschränkte Materie zu beleben, zu erwärmen und gleichsam aufquellen zu machen, während daß die objective Bestimmtheit eines solchen Stoffs meine Phantasie zügelt und meiner Willkühr widersteht. 

Ich möchte wohl einmal, wenn es mir mit einigen Schauspielen gelungen ist, mir unser Publikum recht geneigt zu machen, etwas recht böses thun, und eine alte Idee mit Julian dem Apostaten ausführen. Hier ist nun auch eine ganz eigene bestimmte historische Welt, bei der mirs nicht leid seyn sollte, eine poetische Ausbeute zu finden, und das fürchterliche Interesse das der Stoff hat, müßte die Gewalt der poetischen Darstellung desto wirksamer machen. Wenn Julians Misopogon, oder seine Briefe (übersetzt nehmlich) in der Weimarischen Bibliothek seyn sollten, so würden Sie mir viel Vergnügen damit machen, wenn Sie sie mitbrächten. 

Die Charlotte Kalb hör ich soll wirklich in Gefahr seyn blind zu werden; sie wäre doch sehr zu beklagen. 

Leben Sie recht wohl; ich lege hier etwas von Körnern bey, was er über Ihren Pausias schreibt. Haben Sie die Güte mir den Humboldtischen Brief, den ich auf den Montag beantworte, zurückzusenden. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 315. Z. 22. Die Hauswirte sind Griesbachs. Zu Z. 25. Goethe hatte Griesbachs besonders wohl Meyers Copie der Raphaelschen Madonna della Sedia gezeigt, von der er in X. schrieb. 
Zu S. 316. Z. 19. In der That ist mit dieser Formel Goethes und Schillers Art zu dichten wiederum treffend bezeichnet: Goethe idealisierte das realistische, Schiller suchte, namentlich in seiner Jugend das Ideale zu realisiren.
Zu S. 317. Z. 4. Körners Brief vom 25. Dez. 97 (eingetr. d. 1. Jan. 98). Zu Z. 6. K. verzeichnet erst wieder am 29. Januar einen Brief Schs. an Humboldt.