Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christian Garve

Jena 6 November [Montag ]1797.

Vor einigen Stunden, mein theurer und verehrter Freund, erhalte ich Ihr so herzliches freundschaftvolles Schreiben, dessen Inhalt mir aus mehr als einem Grunde erfreulich ist und seyn muß. Der vornehmste aber ist dieser, daß es mir eine Versicherung Ihrer Liebe überbringt, zu einer Zeit wo ich mich durch ein Mißverständniß des Herzens, denn so muß ich es nennen, von Ihnen geschieden glaubte. Mich schmerzte längst dieser Gedanke, aber ich mußte es der Zeit überlassen, sich hier ins Mittel zu schlagen, da in Sachen der moralischen Empfindungen durch Erklärungen nicht viel ausgerichtet wird. 

Um so mehr danke ich mein vortreflicher Freund, für diesen unerwarteten freiwilligen Ausdruck Ihres edlen Herzens, der seine volle Wirkung bei mir gethan hat und mich den Werth Ihrer Achtung und Liebe in vollem Maaß hat empfinden lassen. 

Mein langes Stillschweigen auf Ihren letzten Brief und auf das angenehme Geschenk Ihrer Schrift ist in der ersten Zeit bloß durch äusere zufällige Ursachen und vorzüglich meine anhaltende Kränklichkeit veranlaßt worden; nachher aber entsprang es, wie ich nicht läugnen will, aus einem gewißen Zweifel in Ihre Wohlmeinung von mir, in den ich durch gewiße Insinuationen geschäftiger Leute versetzt worden bin. 

Doch davon nichts mehr. Es ist Schade, daß wir einander nur durch das unzureichende Medium der Schrift und durch das, meistens unreine, Medium anderer Menschen, nicht aber persönlich kennen. Hätten die Umstände mich einmal mit Ihnen, theurer Freund, zusammenbringen wollen, so würde über meine Denkungsweise und Empfindungsweise in Ihnen vielleicht nie ein ungünstiger Zweifel aufgekommen seyn. 

Und so würden wir uns auch sehr wahrscheinlich im Raisonnement viel schneller und leichter begegnen, denn nach meinen Erfahrungen wirft das Total und die vollständige Individualität eines Menschen, die nur im Umgang, im Anschauen, und in einer gewißen Suite des Lebens erkannt wird, das gehörige Licht über seine einzelne Äuserungen, Meinungen und Urtheile. 

Wie wünschte ich, mein edler Freund, daß mein Schicksal mir die Gunst erwiesen hätte, Ihnen näher zu seyn. Ihnen zwar kommt man in Ihren Schriften näher, als bei den mehrsten Schriftstellern sonst der Fall ist; hell und rein drückt sich Ihr Geist, Ihr Herz in allem aus, was Sie schreiben. 

Herzlich wünsche ich Ihnen soviel heitre leidenfreie Stunden, als Ihre Kränklichkeit zuläßt. Auch die Kränklichkeit ist zu was gut, ich habe ihr viel zu danken. 

Leben Sie recht wohl edler Freund. Ich werde Ihnen zu einer anderen Zeit einige Gedanken über Ihre Schrift vortragen.

Ihr 

Schiller.


Bemerkungen

1 Zu S. 284. Z. 8. Sch. meint ein Mißverständnis wegen der Xenien.