Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 24. Jul. [Montag] 97. 

Die Nachricht von Ihrem Uebelbefinden hat mich heute früh nach einer schlaflos zugebrachten Nacht sehr unangenehm empfangen, ich hoffe dieser Brief findet Sie schon in der Beßerung, wozu vielleicht die Ankunft des Herzogs das ihrige beyträgt. Doch werden Sie unter diesen Umständen erst eine festere Gesundheit abwarten müssen. 

Ich sende Ihnen hier zu Ihrer Recreation ein ganz neues Opus zu, welches die deutsche Industrie auf eine ganz neue Weise documentiert. Solch eine Erscheinung der Nullität, Absurdität und Frechheit ist doch wirklich nur in den neuesten Zeiten unsrer Litteratur möglich, wo der schnelle Wechsel von Ideen und Formen das Mein und Dein nicht mehr zu bestimmen Zeit läßt. Ich habe unter anderm ganze halbe Seiten lange Stellen aus meinen aesthetischen Abhandlungen, ohne Citation, hier abgedruckt gefunden, und mich nicht wenig verwundert, meine ipsissima verba mir aus dem königlichen Munde entgegen schallen zu hören. 

Dafür hat sich aber auch in diesen Tagen ein neuer Poet gemeldet, der endlich einmal etwas beßeres verspricht. Er sitzt zu Friedberg bey Francfurt, heißt Schmidt und wie ich aus seinem ganzen Habitus schließe, muß er recht in der wilden Einsamkeit und vielleicht in einer niedern Condition leben. Aus einigen Proben die ich beilege werden Sie sehen, daß an dem Menschen etwas ist, und daß aus einer rauhen harten Sprache ächte tiefe Empfindung und ein gewißer Schwung des Geistes herausblickt. Wenn dieser Halbwilde seine Sprache und den Vers recht in der Gewalt haben und sich eine äußre Anmuth zu einem innern Gehalte verschafft haben wird, so hoffe ich für die künftigen Almanache eine Acquisition an ihm zu machen. Wenn er Ihnen auch gefällt, so wäre die Frage, ob Sie ihm nicht, so wie unserm Hauptmann v. Steigentesch, in Frankfurt etwas ans Herz legen könnten. 

Ich breche für heute ab, denn die Feder fällt mir vor Müdigkeit fast aus den Händen. Lassen Sie uns ja morgen erfahren, wie es um Sie steht; meine Frau läßt Ihnen auch von Herzen gute Beßerung wünschen. Leben Sie recht wohl. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 229. Z. 10. Das neue Opus war Gustav III. Tod, ein psychologisch moralisches Gemälde (4 Bde. Leipzig 1797) das Sch. vom Pfarrer Horst, dem Verfasser, am 24. Juli erhalten hatte. Vgl. auch Urlichs, Brfe. an Sch. S. 158. Der Verfasser war Pfarrer in Lindheim bei Hanau. Woher Dr. Ernst Müller in seinem trefflichen Commentar zu K. die Nachricht hat, daß Horsts Brief, der am 24. Juli eintraf, am 3. Juli geschrieben war, weiß ich nicht. Zu Z. 22. Über diesen Siegfried Schmidt, von dem Schiller vier Gedichte in den Musenalmanach für 1798 aufnahm, schrieb Goethe von Frankfurt aus, wo er ihn kennen lernte, am 9. August 1797 und äußerte die Besorgnis, daß nicht viel Freude an ihm zu erleben sei. Vgl. Goedekes Grundriß 2. Aufl. V. 451.