Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 21. Jul. [Freitag] 97. 

Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne daß etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das Viele was Sie mir geben, Sie und Ihren innern Reichthum in Bewegung setzen kann. Ein solches auf wechselseitige Perfectibilität gebautes Verhältniß muß immer frisch und lebendig bleiben, und gerade desto mehr an Mannichfaltigkeit gewinnen, je harmonischer es wird und je mehr die Entgegensetzung sich verliert, welche bei so vielen andern allein die Einförmigkeit verhindert. Ich darf hoffen, daß wir uns nach und nach in allem verstehen werden, wovon sich Rechenschaft geben läßt, und in demjenigen, was seiner Natur nach nicht begriffen werden kann, werden wir uns durch die Empfindung nahe bleiben. 

Die schönste und die fruchtbarste Art, wie ich unsre wechselseitige Mitteilungen benutze und mir zu eigen mache, ist immer diese, daß ich sie unmittelbar auf die gegenwärtige Beschäftigung anwende, und gleich productif gebrauche. Und wie Sie in der Einleitung zum Laocoon sagen, daß in einem einzelnen Kunstwerk die Kunst ganz liege, so glaube ich muß man alles Allgemeine in der Kunst wieder in den besondersten Fall verwandeln, wenn die Realität der Idee sich bewähren soll. Und so, hoffe ich, soll mein Wallenstein und was ich künftig von Bedeutung hervorbringen mag, das ganze System desjenigen, was bei unserm Commercio in meine Natur hat übergehen können, in Concreto zeigen und enthalten. 

Das Verlangen nach dieser Arbeit regt sich wieder stark in mir, denn es ist hier schon ein bestimmteres Object, was den Kräften ihre Thätigkeit anweißt, und jeder Schritt ist hier schon bedeutender, statt daß ich bei neuen rohen Stoffen so oft leer greifen muß. Ich werde jetzt die Lieder zum Almanach zuerst fertig zu bringen suchen, weil mich die Componisten so sehr mahnen, dann mein Glück an den Kranichen versuchen und mit dem September zu der Tragödie zurückkehren.

Die Nachrichten von Ihnen werden in die einfache Existenz, auf die ich jetzt eingeschränkt bin, einen fruchtbaren Wechsel bringen, und außer dem neuen was sie mir zuführen, auch das alte, was unter uns verhandelt worden, wieder in mir lebendig machen. 

Und so leben Sie wohl und denken meiner bei unserm Freunde so wie Sie uns immer gegenwärtig seyn werden. Meine Frau sagt Ihnen ein herzliches Lebewohl. 

Sch. 

Den Chor aus Prometheus bitte nicht zu vergeßen.


Bemerkungen

1 Zu S. 224. Z. 15. Vgl. X. Zu Z. 29. Vgl. Sprüche in Prosa (v. Löper) Nr. 899.
Zu S. 225. Z. 11. Die Kraniche des Ibykus hatte Goethe wohl bei dem letzten Zusammensein in Weimar vom 11.-18. Juli an Sch. zur Bearbeitung abgetreten. Zu Z. 19. Unser Freund ist natürlich Meyer.