Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, 1. Mai [Montag] 97. 

Ich freue mich zu hören daß die Guitarre endlich angekommen ist. Deinen Auftrag an Otto wird meine Frau gleich besorgen.

Mein Kleiner hat sich nun ganz von den Blattern erhohlt und ist auch gar nicht sehr davon angegriffen. Das Zahnen fürchtet Stark bei der Inoculation gar nicht so, wie die andren Aerzte: bey meinem Kleinen bestand er hartnäckig auf der Inoculation, obgleich ich und meine Frau starke Einwendungen machten. 

Ich bin noch immer nicht im Garten, das Regenwetter hindert, daß das neugebaute in meinem Hause noch nicht trocknet; ich sehne mich aber sehr hinaus, denn hier in der Stadt kann ich gar nichts mehr arbeiten. 

Humboldt hat uns nun verlassen, und wahrscheinlich auf sehr lange Zeit. Göthe wird wohl auch am Ende des Sommers nach Italien gehen, da der Friede1 jetzt die Reise wieder möglich macht. Gott sei für diesen Frieden tausendmal gelobt. Er wird uns allen wohlthätig seyn.

Göthens Herrmann u Dorothea erscheint diese Michaelismesse in Calenderform bei Vieweg in Berlin. Er hat diese Form vorgezogen, theils weil man ihn noch einmal so gut dafür bezahlen kann, theils, um das Gedicht auf diese Weise recht in Umlauf zu bringen. 

Zu meinem Almanach ist noch wenig zusammengetragen. Er wird aber schon nach und nach werden. 

Lolo grüßt herzlich. Ich umarme euch. 

Dein 

Sch. 

Was Du neulich über H und W schriebst, war mir recht aus der Seele gesprochen. W. ist beredt und witzig, aber unter die Poeten kann man ihn kaum mit mehr Recht zählen als Voltairen und Popen. Er gehört in die löbliche Zeit, wo man die Werke des Witzes und des poetisch Genies für Synonyma hielt. 

Was einen aber so oft an ihm irremacht, im Guten und Bösen, das ist seine Deutschheit bei dieser französischen Appretur. Diese Deutschheit macht ihn zuweilen zum ächten Dichter, und noch öfters zum alten Weib und Philister. Er ist ein seltsames Mittelding. Uebrigens fehlt es seinen Produkten gar nicht an herrlichen poetischen und genialischen Momenten, und sein Naturell ist mir noch immer sehr respectabel, wieviel es auch bei seiner Bildung gelitten hat. 

Herder ist jetzt eine ganz pathologische Natur, und was er schreibt, kommt mir bloß vor wie ein KrankheitsStoff, den diese auswirft, ohne dadurch gesund zu werden. Was mir an ihm fatal und wirklich ekelhaft ist, das ist die feige Schlaffheit, bei einem innern Trotz und Heftigkeit. Er hat einen giftigen Neid auf alles Gute und Energische und affectiert, das Mittelmäßige zu protegiren. Göthen hat er über seinen Meister die kränkendsten Dinge gesagt. Gegen Kant und die neuesten Philosophen hat er den größten Gift auf dem Herzen; aber er wagt sich nicht recht heraus, weil er sich vor unangenehmen Wahrheiten fürchtet, und beißt nur zuweilen einem in die Waden. Es muß einen indignieren, daß eine so große außerordentliche Kraft für die gute Sache so ganz verloren geht; Schlosser giebt mir zuweilen auch eine ähnliche Empfindung.


1 Der Präliminarfrieden von Leoben, 18. April 1797, dem der Friede von Campo Formio am 17. Oct. folgte.


Bemerkungen

1 Zu S. 185. Z. 30. H. u. W. = Herder und Wieland. Vgl. X.
Zu S. 186. Z. 4. Vgl. zu dem Worte Deutschheit zu Nr. 938. Max Koch verweist dazu in den Berichten des Freien Deutschen Hochstifts 1894 S. 488 auf Wielands Betrachtungen, Fragen und Zweifel über deutschen Patriotismus (Neuer teutscher Merkur 1793): Dort heißt es, daß er sich nicht entsinnen könne, in seiner Jugend „das Wort Teutsch oder Deutsch, Teutschheit war damals noch ein völlig unbekanntes Wort, jemals ehrenhalber nennen gehört zu haben, wohl aber mich noch ganz lebhaft erinnere, daß in meinen Schuljahren das Prädikat teutscher Michel eines von denen war, womit belegt zu werden einem jungen Alemanier nur um einen Grad weniger schimpflich war, als den Schulesel zu tragen.“ Ganz aber war der Gebrauch des Wortes Deutsch im guten Sinne auch zur Zeit der Jugend Wielands nicht verschollen. Vgl. Hagedorn, Ben Haly: „Der Irrtum alter deutscher Treu Ist mit der alten Zeit vorbei.“ Hagedorn, der Blumenkranz: „Wo deutsche Treue sich beim deutschen Handschlag findet.“ Zur Bekräftigung der Wielandschen Ausführungen aber verweise ich wieder auf den Aufsatz: Beytrag zum deutschen Wörterbuch im 3. Bde. Der Neuen Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, zweite Aufl., Leipzig u. Bremen 1750. Hier beginnt der Abschnitt „Deutsch“ mit den Worten: „Deutsch ist ein Schimpfwort“ u. schließt: „Altdeutsch heißt daher in einigen Gesellschaften so viel als grob. – Deutsche Redlichkeit; ist ein verbum obsoletum, oder höchstens nur ein Provinzialwort. Siehe hiervon mit mehreren des Panzirollus Abhandlung von denjenigen Sachen, welche bei uns verloren gegangen.“ Der Artikel, der mit E= unterzeichnet ist, rührt wohl von Ebert her.