Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

[Jena den 16. December. Freitag. 1796.]

Der December geht nach und nach vorbey und Sie kommen nicht. Ich fürchte bald, daß wir einander vor dem 97 Jahr nicht wieder sehen werden. Mich freut übrigens zu hören, daß Sie die Optica ernstlich vorgenommen; denn mir däucht, man kann diesen Triumph über die Widersacher nicht frühe genug beschleunigen. Für mich selbst ist es mir angenehm, durch Ihre Ausführung in dieser Materie klar zu werden.

Meine Arbeit rückt mit lebhaftem Schritt weiter. Es ist mir nicht möglich gewesen, so lange wie ich anfangs wollte, die Vorbereitung und d Plan von der Ausführung zu trennen. Sobald die festen Punkte einmal gegeben waren, und ich überhaupt nur einen sichern Blick durch das Ganze bekommen, habe ich mich gehen lassen, und so wurden, ohne daß ich es eigentlich zu Absicht hatte, viele Scenen im ersten Act gleich ausgeführt. Meine Anschauung wird mit jedem Tage lebendiger und eins bringt das andere herbey.

Gegen den Dreikönig Tag denke ich soll der erste Akt, der auch bey weitem der längste wird, so weit fertig seyn, daß Sie ihn lesen können. Denn ehe ich mich weiter hinein wage, möchte ich gerne wißen, ob es der gute Geist ist, der mich leitet. Ein böser ist es nicht, das weiß ich wohl gewiß, aber es giebt so viele Stuffen zwischen beyden.

Ich bin, nach reifer Ueberlegung, bei der lieben Prosa geblieben, die diesem Stoff auch viel mehr zusagt.

Hier die noch restierenden Horen-Stücke, das bezeichnete bitte an Hn. von Knebel abgeben zu lassen.

Leben Sie aufs beßte wohl. Bei uns ist alles ziemlich gesund.

Sch.