Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena 28. Nov. [Montag] 96.

Ich brüte noch immer ernstlich über dem Wallenstein, aber noch immer liegt das unglückselige Werk formlos und endlos vor mir da. Du mußt aber nicht denken, als ob ich meine dramatische Fähigkeit, so weit ich sie sonst mag beseßen haben, überlebt hätte; nein, ich bin bloß deswegen unbefriedigt, weil meine Begriffe von der Sache und meine Anfoderungen an mich selbst jetzt bestimmter und klärer, und die letzteren strenger sind. Keins meiner alten Stücke hat soviel Zweck und Form, als der Wallenstein jetzt schon hat, aber ich weiß jetzt zu genau, was ich will und was ich soll, als daß ich mir das Geschäft so leicht machen könnte.

Der Stoff ist, ich darf wohl sagen, im höchsten Grad ungeschmeidig für einen solchen Zweck; er hat beynahe alles, was ihn davon ausschließen sollte. Es ist im Grund eine Staatsaction und hat, in Rücksicht auf den poetischen Gebrauch, alle Unarten an sich, die eine politische Handlung nur haben kann, ein unsichtbares abstractes Objekt, kleine und viele Mittel, zerstreute Handlungen, einen furchtsamen Schritt, eine (für den Vortheil des Poeten) viel zu kalte trockene Zweckmäßigkeit, ohne doch diese biß zur Vollendung und dadurch zu einer poetischen Größe zu treiben; denn am Ende mislingt der Entwurf doch nur durch Ungeschicklichkeit. Die Base, worauf Wallenstein seine Unternehmung gründet, ist die Armee, mithin für mich eine unendliche Fläche, die ich nicht vors Auge und nur mit unsäglicher Kunst vor die Phantasie bringen kann: ich kann also das Object, worauf er ruht, nicht zeigen, und ebenso wenig das, wodurch er fällt; das ist ebenfalls die Stimmung der Armee, der Hof, der Kaiser. – Auch die Leidenschaften selbst, wodurch er bewegt wird, Rachsucht und Ehrbegierde, sind von der kältesten Gattung. Sein Charakter endlich ist niemals edel und darf es nie seyn, und durchaus kann er nur furchtbar, nie eigentlich groß erscheinen. Um ihn nicht zu erdrücken, darf ich ihm nichts großes gegenüber stellen; er hält mich dadurch nothwendig nieder. Mit einem Wort, es ist mir fast alles abgeschnitten, wodurch ich diesem Stoffe nach meiner gewohnten Art beikommen könnte, von dem Innhalte habe ich fast nichts zu erwarten, alles muß durch eine glückliche Form bewerkstelligt werden, und nur durch eine kunstreiche Führung der Handlung kann ich ihn zu einer schönen Tragödie machen.

Du wirst dieser Schilderung nach fürchten, daß mir die Lust an dem Geschäfte vergangen sey, oder, wenn ich dabey wider meine Neigung beharre, daß ich meine Zeit dabey verlieren werde. Sey aber unbesorgt, meine Lust ist nicht im geringsten geschwächt, und ebenso wenig meine Hofnung eines treflichen Erfolges. Gerade so ein Stoff mußte es seyn, an dem ich mein neues dramatisches Leben eröfnen konnte. Hier, wo ich nur auf der Breite eines Schermessers gehe, wo jeder Seitenschritt das Ganze zu Grunde richtet, kurz, wo ich nur durch die einzige innere Wahrheit, Nothwendigkeit, Stätigkeit und Bestimmtheit meinen Zweck erreichen kann, muß die entscheidende Crise mit meinem poetischen Charakter erfolgen. Auch ist sie schon stark im Anzug; denn ich tractiere mein Geschäft schon ganz anders, als ich ehemals pflegte. Der Stoff und Gegenstand ist so sehr ausser mir, daß ich ihm kaum eine Neigung abgewinnen kann; er läßt mich beynahe kalt und gleichgültig, und doch bin ich für die Arbeit begeistert. Zwey Figuren ausgenommen, an die mich Neigung fesselt, behandle ich alle übrigen, und vorzüglich den Hauptcharakter, bloß mit der reinen Liebe des Künstlers, und ich verspreche Dir, daß sie dadurch um nichts schlechter ausfallen sollen. Aber zu diesem bloß objectiven Verfahren war und ist mir das weitläuftige und freudlose Studium der Quellen so unentbehrlich; denn ich mußte die Handlung wie die Charactere aus ihrer Zeit, ihrem Lokal und dem ganzen Zusammenhang der Begebenheiten schöpfen, welche sich weit weniger nöthig hätte, wenn ich mich durch eigne Erfahrung mit Menschen und Unternehmungen aus diesen Klassen hätte bekannt machen können. Ich suche absichtlich in den Geschichtsquellen eine Begrenzung, um meine Ideen durch die Umgebung der Umstände streng zu bestimmen und zu verwirklichen; davor bin ich sicher, daß mich das Historische nicht herabziehen oder lähmen wird. Ich will dadurch meine Figuren und meine Handlung bloß beleben; beseelen muß sie diejenige Kraft, die ich allenfalls schon habe zeigen können, und ohne welche ja überhaupt kein Gedanke an dieses Geschäft von Anfang an möglich gewesen wäre.

Auf dem Weg, wo ich jezt gehe, kann es leicht geschehen, daß mein Wallenstein durch eine gewisse Trockenheit der Manier sich von meinen vorhergehenden Stücken gar seltsam unterscheiden wird. Wenigstens habe ich mich bloß vor dem Extrem der Nüchternheit, nicht wie ehemals vor dem der Trunkenheit zu fürchten.

Aus dem, was ich hier hingeworfen, kannst Du Dir nun wohl erklären, warum meine Vorarbeiten an dem Wallenstein für nicht viel zu rechnen sind, obgleich sie allein mich bestimmt hatten, dem Stoffe getreu zu bleiben. Sonst aber mußte ich die Arbeit als eine ganz neue tractieren und Du begreifst warum ich keine schnelle Schritte machen kann. Dennoch hoffe ich in drey Monaten des Ganzen so weit mächtig zu seyn, daß mich nichts an der Ausführung hindert. Freilich verspreche ich mir den Trost der Vollendung vor dem August des künftigen Jahres nicht. Bei Euch also werde ich auch des vollendeten Wallensteins, wie des Carlos, zuerst mich freuen, und ehe es dahin kommt, werde ich Dir noch manche Aufmunterung dabey zu danken haben.

Laß uns aber nun den Vertrag miteinander aufrichten: daß Du es nie annehmen willst, wenn ich Dich theilweise mit dem Stücke bekannt machen wollte. Leicht könnte mir einmal der Autorendrang kommen, und da hätte ich den wichtigsten Theil Deines Urtheils mir geraubt, welches sich nur auf die klare Ansicht des Ganzen gründen kann. Ich werde es ebenso mit Göthen und mit Humboldt halten, und mir auf diese Art in eurem dreyfachen Urtheil einen Schatz aufheben.

Sollte Dir irgend etwa ein Werk bekannt seyn, das mir jene Art von Welt, Militairische und politische, in einer anschaulicheren Form näher bringen könnte, wie z. B. gewisse Memoires, so mache mich doch darauf aufmerksam. Ich muß die Notizen dieser Art mühsam zusammenlesen, und finde beynahe doch nichts.

Humboldt meynt, ich solle den Wallenstein in Prosa schreiben; mir ist es, in Rücksicht auf die Arbeit ziemlich einerley, ob ich Jamben oder Prosa machen. Durch die ersten würde er mehr poetische Würde, durch die Prosa mehr Ungezwungenheit erhalten. Da ich ihn aber im strengen Sinne für die theatralische Vorstellung bestimme, so wird es wohl besser gethan seyn, Humboldten hierin zu folgen. Lebe recht wohl. bey uns ist alles wohl auf und grüßt euch alle herzlich.

Dein

S.

Hier eine neue Hore, die Dich doch vielleicht überraschen wird.