Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Elisabeth Schiller

[Jena den 19. Sept. [Montag] 96.]

      Liebste Mutter,

Herzlich betrübt ergreife ich die Feder, mit Ihnen u. den lieben Schwestern den schweren Verlust zu beweinen, den wir zusammen erlitten haben. Zwar gehofft habe ich schon eine Zeit lang nichts mehr, aber wenn das Unvermeidliche wirklich eingetreten ist, so ist es immer ein erschütternder Schlag. Daran zu denken, daß etwas, das uns so theuer war, u. woran wir mit den Empfindungen der frühen Kindheit gehangen und auch im spätern Alter mit Lieb geheftet waren, daß so etwas aus der Welt ist, daß wir mit allem unsern Bestreben es nicht mehr zurückbringen können, daran zu denken ist mir etwas schreckliches. Und wenn man erst, wie Sie theureste liebste Mutter, Freude und Schmerz mit dem verlornen Freund u. Gatten so lange, so viele Jahre getheilt hat, so ist die Trennung um so schmerzlicher. Auch wenn ich nicht einmal daran denke, was der gute verewigte Vater mir und uns allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne wehmüthige Rührung den Beschluß eines so bedeutenden u. thatenvollen Lebens denken, das ihm Gott so lange u. mit solcher Gesundheit fristete, und das er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja warlich es ist nichts geringes, auf einem so langen u. mühevollen Laufe so treu auszuhalten, und so wie er noch im 73gtsten Jahr mit einem so kindlichen reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich, wenn es mich gleich alle seine Schmerzen kostete, so unschuldig von meinem Leben scheiden als Er von dem seinigen. Das Leben ist eine so schwere Prüfung, und die Vortheile, die mir die Vorsehung in mancher Vergleichung mit ihm vergönnt haben mag, sind mit so vielen Gefahren für das Herz u. für den wahren Frieden geknüpft.

Ich will Sie und die lieben Schwestern nicht trösten. Ihr fühlt alle mit mir, wie viel wir verloren haben, aber ihr fühlt auch, daß der Tod allein dieses lange Leiden endigen konnte. Unserm theuren Vater ist wohl, und wir alle müssen u. werden ihm folgen. Nie wird sein Bild aus unserm Herzen erlöschen, und der Schmerz um ihn soll uns nur noch enger unter einander vereinigen.

Vor 5 und 6 Jahren hat es nicht geschienen, daß Ihr, meine Lieben, nach einem solchen Verluste noch einen Freund an einem Bruder finden, daß ich den l. Vater überleben würde. Gott hat es anders gefügt und er gönnt mir noch die Freude, Euch etwas seyn zu können. Wie bereit ich dazu bin, darf ich euch wohl nicht mehr versichern. Wir kennen einander alle auf diesen Punkt und sind des lieben Vaters nicht unwürdige Kinder.

Sie, theure Mutter, müssen sich Ihr Schicksal jetzt ganz selbst wählen und in Ihrer Wahl soll keine Sorge Sie leiten. Fragen Sie Sich selbst, wo Sie am liebsten leben, hier bei mir, ober bei Christophinen oder im Vaterland mit der Louise. Wohin Ihre Wahl fällt, da wollen wir Mittel dazu schaffen. Vor der Hand müssen Sie ja doch, der Umstände wegen, im Vaterlande leben, und da läßt sich unterdessen alles arrangieren. In Leonberg glaube ich würden Sie die Wintermonate noch am leichtesten zubringen, und mit dem Frühjahr kämen Sie mit der Louise nach Meiningen, wo ich aber ausdrücklich rathen würde, eine eigene Wirthschaft zu treiben. Doch davon das nächstemal mehr. Ich würde darauf bestehen, daß Sie hieher zu mir zögen, wenn ich nicht fürchtete, daß es Ihnen bey mir viel zu fremd und zu unruhig seyn würde. Sind Sie aber nur erst in Meiningen, so werden wir Mittel genug finden, uns zu sehen, und Ihnen die lieben Enkel zu bringen.

An Reinwald habe ich wieder geschrieben, und ihm vorgestellt, daß Christophine sich jetzt nicht sogleich auf den Rückweg machen kann. Ohnehin kann ja jetzt noch niemand durch jene Gegend reisen. Ist alles unangenehme der Geschäfte vorbei und sind Sie liebste Mutter etwas beruhigt, so kann sie dem Wunsch ihres Mannes nachgeben. Ein großer Trost wäre mirs, Sie liebste Mutter wenigstens in den ersten 3, 4 Wochen nach der Trennung von Christophinen bey Bekannten zu wissen, weil die Gesellschaft unsrer Louise sie doch immer an die vorigen Zeiten zu sehr erinnern wird.

Sollte aber keine Pension von dem Herzog gegeben werden und der Verkauf der Sachen Sie nicht zu lange aufhalten, so könnten Sie vielleicht mit den Schwestern gleich nach Meinungen reisen, und würden sich dort in der neuen Welt um so eher beruhigen.

Alles, was Sie zu einem gemächlichen Leben brauchen, muß Ihnen werden, beste Mutter, und es ist nun hinfort meine Sache, daß keine Sorge Sie mehr drückt. Nach soviel schwerem Leiden muß der Abend Ihres Lebens heiter oder doch ruhig seyn, und ich hoffe, Sie sollen im Schooße Ihrer Kinder und Enkel noch manchen frohen Tag genießen.

Alles was unser theurer Vater an Briefschaften u. Mscripten hinterlassen, kann mir durch Christophinen mitgebracht werden. Ich will suchen, seinen letzten Wunsch zu erfüllen, der auch für Sie, liebste Mutter, Nutzen bringen soll.

Herzlich umarmen wir Sie und die lieben Schwestern. Meine Lotte würde Selbst geschrieben haben, aber wir haben heute das Haus voll Gäste, und in dieser Zerstreuung wars unmöglich. Sie hat mit mir den Verewigten Vater, den sie immer recht herzlich geliebt, beweint, und ihr tiefer Antheil an diesem Verlust hat sie mir noch lieber u. theurer gemacht. Auch meine Schwiegermutter, und Wolzogens die gerade hier sind, sind sehr davon gerührt worden und lassen tausendmal grüßen.

Ihr ewig dankbarer Sohn

F. Sch.

Meiner guten Louise wünsche ich zu ihren guten Aussichten, und dem braven jungen Mann Glück, der ihr seine Hand anbietet und durch sein edles Betragen an dem Krankenlager unsers Vaters seine rechtschaffene Gesinnung an den Tag gelegt hat. Vielmals soll sie mich ihm als meinem künftigen Schwager empfehlen, und ihn im Voraus meiner Freundschaft und herzlichen Ergebenheit versichern.