Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm von Humboldt

[Jena, den 22. Juli [Freitag] 1796.]

Von Herdern habe ich noch nichts, doch er hat etwas versprochen. Schlegel ist seit 14 Tagen wieder hier mit seiner Frau. Diese hat viele Talente zur Conversation und man kann leicht mit ihr leben; es kommt nun darauf an, ob eine längere Bekanntschaft, wenn sie besonders zur Vertraulichkeit werden sollte, nicht irgend einen Dorn entdecken wird. Er ist mit einer weitläuftig Recension des Vossischen Homers beschäftigt, wovon ich was fertig ist gelesen und sehr befriedigend gefunden habe. Voss kann gar nicht sehr davon erbaut werden, denn es wird ihm bewiesen, daß er den Homer erstaunlich modernisiert habe.

Ihre Bekenntnisse über Sie selbst, mein liebster Freund, möchte ich Ihnen gern in einem eigenen Briefe beantworten; wenn ich mich nur ordentlich dazu sammeln könnte. Soviel nur für jetzt: ich bin überzeugt, was Ihrem schriftstellerischen Gelingen vorzüglich im Wege steht, ist sicherlich nur ein Uebergewicht des urtheilenden Vermögens über das frey bildende und der zu voreilende Einfluß der Critik über die Erfindung, welcher für die letztere immer zerstörend ist. Ihr Subject wird Ihnen zu schnell Object, und doch muß alles auch im wissenschaftlichen nur durch das Subjective Wirken verrichtet werden. In diesem Sinne würde ich Ihnen natürlicherweise die eigentliche Genialität absprechen, von welcher Sie doch, in einer anderen Rücksicht wieder so vieles haben. Sie sind mir eine solche Natur, die ich allen sogenannten BegriffsMenschen, Wissern und Speculatoren – und wieder eine solche Cultur, die ich allen Genialischen Naturkindern entgegen setzen muß. Ihre individuelle Vollkommenheit liegt daher sicherlich nicht auf dem Wege der Production, sondern des Urtheils und des Genusses; weil aber Genuß und Urtheil in dem Sinne und in dem Maaße, dessen beyde bey Ihnen fähig sind, schlechterdings nicht ausgebildet werden können, ohne die Energie und Rüstigkeit, zu der man nur durch den eigenen Versuch und durch die Arbeit des Producierens gelangt, so werden Sie, um sich zu einem vollkommen genießenden Wesen auszubilden, das eigene Producieren doch nie aufgeben dürfen. Ihnen ist es aber nur ein Mittel, so wie dem productiven Gemüth die Critik etc. etc. nur ein Mittel ist. Das ist es, lieber Freund, was ich von der Anschauung, die ich von Ihnen habe, mir sogleich klar machen kann. Sehen wir einander wieder, so werden wir bestimmter und ausführlicher darüber seyn können.

Leben Sie recht wohl mit der guten Li, die wir alle, auch meine SchwiegerMutter, die jetzt hier ist, aufs herzlichste grüßen. Ihre so wenig erfreuliche Lage in den jetzigen Umständen habe ich lebhaft mit Ihnen empfunden, und wünsche herzlich, daß sie bald ein Ende nehme.

Ewig d Ihrige.

Sch.

N. S. Hellfeld ist bezahlt. Ich habe anstatt des Momus und Centaurs eine Terpsichore gewählt, weil eine solche Figur. in Bewegung vorgestellt, einen graziöseren Effekt macht und auch die allegorische Bedeutung davon gefälliger ist. Vielleicht ist solche, so wie wir sie wünschen, schon auf einer Gemme zu finden.