Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm von Humboldt

Jena 21. März [Montag] 96.

Mein letzter Brief hat Ihnen nun schon gemeldet, liebster Freund, daß vor der Hand weder an Stanzen, noch an etwas Episches bey mir zu denken ist. Ich kann also von Ihren Bemerkungen über den eigentlichen rechten Gebrauch gereimter SylbenMaaße sobald keinen Gebrauch für mich selbst machen, obgleich ich Ihren Ideen im Ganzen beypflichte. Nur däucht mir, erklären Sie Sich zu sehr aus dem innern Wesen, was oft nur zufällig ist. So glaube ich daß der Reim seinen Ursprung einer Sprache zu danken hat, die viele Wörter mit gleichen Endungen besitzt, und daß theils dieses, theils die Bequemlichkeit für das Gedächtniß ihn einführte. Daß sich der Reim sehr gut mit naiven Dichtungen vertrage, lehrt gerade sein Ursprung; denn die Italienischen Dichter, die Minnesänger und Troubadours u. dgl. obgleich sie den Alten an Werth nicht beikommen, gehören doch mehr in die Claße der naiven, als der sentim. Dichtung. Dann ist auch ferner nicht zu läugnen, daß der Reim in den fröhlichen und scherzhaften Gattungen sich mit der größten Naivetät des dichterischen Gefühls verträgt; ich will hier nur la Fontaines Erzählungen anführen. Mir däucht, daß sich die alten SylbenMaaße, wie z. B. der Hexameter, deßwegen so gut zur naiven Poesien qualifizieren, weil er ernst und gesetzt einher schreitet und mit seinem Gegenstand nicht spielt. Nun gibt dieser Ernst, z. B. im Fuchs der Erzählung einen gewissen größern Schein von Wahrhaftigkeit, und diese ist das erste Erfoderniß des naiven Tons, wo der Erzähler nie den Spaßmacher spielen und aller Witz ausgeschloßen bleiben soll. Auch, däucht mir, ist uns der Hexameter schon deßwegen in dergleich Gedichten so angenehm und vermehrt das naive, weil er an Homer und die alten erinnert.

Uebrigens bin ich mit Ihnen überzeugt, daß der Reim mehr an Kunst erinnert und die entgegengesetzten Sylbenmaße der Natur viel näher liegen: aber ich glaube, daß jenes Erinnern an Kunst, wenn es nicht eine Wirkung der Künstlichkeit oder gar der Peinlichkeit ist, eine Schönheit involviert, und daß es sich mit dem höchsten Grade poetischer Schönheit (in welche naive und sentimentale Gattung zusammenfließen) sehr gut verträgt. Was man in der neuern Poesie (der gereimten) vorzüglich schöne Stellen nennt, möchte meinen Satz beweisen; in solchen Stellen ergötzt uns die Kunst als höchste Natur und die Natur als Wirkung der höchsten Kunst: denn erst dann erreicht unser Genuß seinen höchsten Grad, wenn wir beydes zusammen empfinden.

Das ist eine Unart des Reims, daß er fast immer an die Poeten erinnert, so wie in der freien Natur eine mathematisch strenge Anordnung, eine Allee z. B. an die Menschenhand. Aber ich glaube, daß selbst dieses – wenn nur das übrige reine objective Natur ist – der höchsten ästhetischen Wirkung nicht entgegen ist.

Aber lassen Sie mich auch hier von den Reimen scheiden, wie ich in der That – auf eine Zeit lang nehmlich – von ihnen Abschied genommen habe, es müßte denn seyn, daß ich in meinem Schauspiel gereimte Scenen nach Shakespears Beyspiel einmischte, wozu es jetzt noch keinen Anschein hat. Ich bin jetzt wirklich und in allem Ernst bei meinem Wallenstein und habe die letzten 5 Tage dazu angewendet, die Ideen zu revidieren, die ich in verschiedenen Perioden darüber niederschrieb. Groß war freilich dieser Fund nicht, aber auch nicht ganz unwichtig, und ich finde doch, daß schon dieses, was ich bereits darüber gedacht habe, die Keime zu einem höhern und ächteren dramatischen Interesse enthält, als ich je einem Stück habe geben können. Ich sehe mich überhaupt auf einem sehr guten Wege, den ich nur fortsetzen darf, um etwas gutes hervorzubringen; dieß ist schon viel und auf alle Fälle sehr viel mehr, als ich in diesem Fache sonst von mir rühmen konnte.

Vordem legte ich das ganze Gewicht in die Mehrheit des Einzelnen, jetzt wird Alles auf die Totalität berechnet, und ich werde mich bemühen, denselben Reichthum im Einzelnen mit eben so vielem Aufwand von Kunst zu verstecken, als ich sonst angewandt, ihn zu zeigen, und das Einzelne recht vordringen zu lassen. Wenn ich es auch anders wollte, so erlaubte es mir die Natur der Sache nicht; denn Wallenstein ist ein Charakter, der – als ächt realistisch – nur im ganzen, aber nie im Einzelnen interessieren kann.

Ich habe bey dieser Gelegenheit einige äuserst treffende Bestätigungen meiner Ideen über den Realism und Idealism bekommen, die mich zugleich in dieser dichterischen Composition glücklich leiten werden. Was ich in meinem letzten Aufsatz über den Realism gesagt, ist von Wallenstein im höchsten Grade wahr. Er hat nichts Edles, er erscheint in keinem einzelnen LebensAkt groß; er hat wenig Würde u. dgl. ich hoffe aber nichtsdestoweniger auf rein realistischem Wege einen dramatisch großen Character in ihm aufzustellen, der ein ächtes Lebensprincip in sich hat. Vordem habe ich wie im Posa und Carlos die fehlende Wahrheit durch schöne Idealität zu ersetzen gesucht, hier im Wallenstein will ich es probieren, und durch die bloße Wahrheit für die fehlende Idealitaet (die sentimentalische nehmlich) entschädigen.

Die Aufgabe wird dadurch schwerer und folglich auch interessanter, daß der eigentl. Realism den Erfolg nöthig hat, den der idealistische Character entbehren kann. Ungücklicher Weise aber hat Wallenstein den Erfolg gegen sich, und nun erfodert es Geschicklichkeit, ihn auf der gehörigen Höhe zu erhalten. Seine Unternehmung ist moralisch schlecht, und sie verunglückt physisch. Er ist im Einzelnen nie groß, und im Ganzen kommt er um seinen Zweck. Er berechnet alles auf die Wirkung, und diese mißlingt. Er kann sich nicht, wie der Idealist, in sich selbst einhüllen und sich über die Materie erheben, sondern er will die Materie sich unterwerfen, und erreicht es nicht. Sie sehen daraus, was für delicate u verfängliche Aufgaben zu lösen sind, aber mir ist dafür nicht bange. Ich habe die Sache von einer Seite gefaßt, von der sie sich behandeln läßt.

Daß Sie mich auf diesem neuen und mir, nach allen vorhergegangenen Erfahrungen, fremden Wege mit einiger Besorgniß werden wandeln sehen, will ich wohl glauben. Aber fürchten Sie nicht zu viel. Es ist erstaunlich, wie viel realistisches schon die zunehmenden Jahre mit sich bringen, wie viel der anhaltendere Umgang mit Göthen und das Studium der Alten, die ich erst nach dem Carlos habe kennen lernen, bey mir nach und nach entwickelt hat. Daß ich auf dem Wege, den ich nun einschlage, in Göthens Gebiet gerathe und mich mit ihm werde messen müssen ist freilich wahr, auch ist es ausgemacht, daß ich hierinn neben ihm verlieren werde. Weil mir aber auch etwas übrig bleibt, was Mein ist und Er nie erreichen kann, so wird sein Vorzug mir und meinem Product keinen Schaden thun, und ich hoffe, daß die Rechnung sich ziemlich heben soll. Man wird uns, wie ich in meinen muthvollsten Augenblicken mir verspreche, verschieden specificieren, aber unsere Arten einander nicht unterordnen, sondern unter einem höheren idealisch Gattungsbegriffe einander coordinieren.

Doch genug von diesen Raisonnements. Sie werden sagen, daß die Sache selbst allein hier entscheiden könne, und diese wird jetzt auch mein ernstliches Geschäft seyn. Vor Ihrer Ankunft in Jena, welche doch wohl im August erfolgt, werde ich noch nichts eigentlich ausgeführt haben, aber dann, hoffe ich, soll der Plan ziemlich zu Stande seyn, und mit dem Plan ist auch die eigentliche poetische Arbeit vollendet.

Uebermorgen, liebster Freund, reise ich auf 14-18 Tage nach Weimar, wenn meine Gesundheit es erlaubt. Ich habe Göthen versprochen, während Iflands Anwesenheit, der am Charfreytag ankommt, ihm Gesellschaft zu leisten, damit er für Ifland um so eher eine Societaet eröfnen könne. Er wollte nicht gern zu viel Anstalten Iflands wegen machen, und doch wissen Sie daß man in Weimar alles aufbieten muß, um auch nur Etwas von Societaet zu haben. Nun geht ein Theil der SocietätsArrangements auch auf meinen Nahmen, und wenn wir, G. und ich beyde zusammen sind, so verwandelt sich die ganze Historie in eine Comödie für uns. Seyen Sie also so gut, lieber, mir Ihren nächsten Brief nach Weimar zu adressieren.

Der Li unsere herzlichsten Grüße. Möchte sie doch endlich einmal wieder Beßerung spüren. Ihr

Sch.