Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Sonntag Abends. [1. Nov. 1795.] 

Ich bin ungeduldig wieder ein Lebenszeichen von Ihnen zu erhalten. Mir ist als wenn ich gar lang nichts von Ihnen erfahren hätte. Das Evenement1 im Hause ist, wie ich hoffe, glücklich vorbey gegangen. 

Wir leben jetzt recht in den Zeiten der Fehde. Es ist eine wahre Ecclesia militans – die Horen meyne ich. Ausser den Völkern, die Herr Jacob in Halle commandiert und die Herr Manso in der Biblioth. d. S. W. hat ausrücken lassen, und außer Wolfs schwerer Cavallerie haben wir auch nächstens vom Berliner Nicolai einen derben Angriff zu erwarten. Im Xten Theil seiner Reisen soll er fast von nichts als von den Horen handeln und über die Anwendungen Kantischer Philosophie herfallen, wobey er alles unbesehen, das Gute wie das Horrible, was diese Philosophie ausgeheckt, in einen Topf werfen soll. Es läßt sich wohl noch davon reden, ob man überall nur auf diese Plattituden antworten soll. Ich möchte noch lieber etwas ausdenken, wie man seine Gleichgültigkeit dagegen recht anschaulich zu erkennen geben kann. Nicolain sollten wir aber doch von nun an in Text und Noten, und wo Gelegenheit sich zeigt, mit einer recht insignen Geringschätzung behandeln. 

Haben Sie die neuen MusenAlmanache angesehen? Sie sind horribel. 

Leben Sie recht wohl. 

Sch.


Bemerkungen

1 Das Evenement ist die Entbindung der späteren Frau Goethe.