Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an den Herzog Friedrich Christian von Augustenburg

Jena, den 5. Juli [Sonntag] 1795.

Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Fürst und Herr,

Nicht ohne Verlegenheit wage ich es, Ew. Herzogl. Durchlaucht das Sechste Stück der Horen zu überreichen. 

Die Elegien, welche es enthält, sind vielleicht in einem zu freyen Tone geschrieben, und vielleicht hätte der Gegenstand, den sie behandeln, sie von den Horen ausschließen sollen. Aber die hohe poetische Schönheit, mit der sie geschrieben sind, riß mich hin, und dann gestehe ich, daß ich zwar eine conventionelle, aber nicht die wahre und natürliche Decenz dadurch verletzt glaube. Ich werde in einem künftigen Stücke des Journals mir die Freyheit nehmen, mein Glaubensbekenntniß über das, was dem Dichter in Rücksicht auf das Anständige erlaubt und nicht erlaubt ist, ausführlich abzulegen. 

Möchte die Fortsetzung meiner Briefe über aesthetische Erziehung, davon dieses Stück eine große Lieferung enthält, von Ew. Durchlaucht nicht ohne Interesse gelesen werden. Ich nähere mich darinn immer mehr meinem Ziele, und hoffe mehreres, was in den vorigen Briefen noch dunkel geblieben ist, darin entwickelt zu haben. 

In tiefster Devotion und Ehrerbietung ersterbe ich

         Ew. Herzoglichen Durchlaucht 
                  unterthänigster 

F. Schiller.


Bemerkungen

1 Zu S. 202. Z. 7. Schs. Sorge, der freie Ton der Goetheschen Elegien könnte in gewissen Kreisen Anstoß erregen, war nicht unbegründet. Vgl. Herzog Karl August an Sch. vom 9. Juli 1795. (Carl Augusts erstes Anknüpfen mit Sch. Cotta 1857.) Vgl. zu Nr. 882.