Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, den 5. April [Sonntag] 95.

Du hast ziemlich lange nichts von Dir hören lassen, und auch von mir lange nichts mehr gehört. Mich beschäftigt schon seit 3 Wochen ein historischer Aufsatz für die Horen aus der niederl. Geschichte, davon die erste Lieferung jetzt fertig ist1. Dieser raubte mir alle Zeit zu andern vernünftigen Sachen; aber die Mannichfaltigkeit, die in den Horen herrschen soll, erforderte einmal eine solche Arbeit; Deinen Aufsatz erwarte ich nun mit jedem Posttag; ich bin ungeduldig Deine Autorschaft in den Horen eröffnet zu sehen. 

Hier das 3te Stück, wo Du Herder und Engel kannst paradiren sehen. Ein Exemplar dieses Stücks ist für Schlegeln. Voß hat sich selbst zum Mitarbeiter angetragen, und einige Gedichte, mit Musik von Reichardt, geschickt. 

Vom Coadjutor ist ein unendlich elender Aufsatz eingelaufen, den ich recht verlegen bin wieder los zu seyn2

Vorgestern kam mein Bild von Dorchen an, welches uns allen eine herzliche Freude gemacht hat. Sage Dorchen recht viel Schönes von mir, meine Frau will selbst schreiben. Goethe und Meyer, welche eben hier sind, haben sich auch recht darüber gefreut. 

Du schreibst nicht, ob Du meine Büste erhalten hast. Eigentlich solltest Du sie längst haben, und ich will nicht hoffen, daß ein Unglück damit begegnet ist. 

Über Dein Hieherkommen wünschte ich mehr Tröstliches zu hören, als Dein letzter Brief enthält. 

Ich habe in dieser Zeit eine förmliche Vocation nach Tübingen erhalten; mit einem zwar mäßigen, aber in der Folge zu verbessernden Gehalt. Ich habe sie aber, weil ich keine bestimmte Pflichten übernehmen kann, ausgeschlagen3. Aber auch ohne dieses würde ich Jena und meine hiesige freie Existenz mit keinem andern Ort in der Welt vertauschen. Vom Herzog von Weimar habe ich mir dafür eine Verdoppelung meines Gehalts ausgebeten, im Falle meine Gesundheit mir die Schriftstellerei untersagte. Dies ist mir bewilligt worden, und nun habe ich meine Existenz auf gewisse Weise assecurirt. Meine 1000 Thaler aus Dänemark für das vergangene Jahr habe ich noch immer nicht erhalten, obgleich mir der Prinz erst kürzlich geschrieben hat. 

Hier spricht man sehr decidirt, daß zwischen Preußen, Hannover, Cassel und den Franzosen der Friede geschlossen sei. Mit Hannover nämlich bloß als deutscher Reichsstand. Die Nachricht ist von einer sonst guten Quelle. Möchte sie wahr seyn, so wäre bald eine Nachfolge vom ganzen Deutschland zu hoffen. 

               Dein 

Sch.


1) Belagerung von Antwerpen; im vierten Hefte, S. 68. Der Beschluß 5, 1. S. Schr. 9, 27. Die Ausarbeitung fällt wohl in diese Zeit, aber zweifellos nach früher gesammeltem Material; vgl. an Goethe Nr. 58. ­
2) Im fünften Hefte erschien ein Aufsatz Dalbergs: „Kunstschulen“. ­
3) Am 19. Febr. 1795 schreibt Schiller an Goethe (Nr. 48), seine Landsleute hätten ihm die Ehre angethan, ihn nach Tübingen zu vocieren, wo man sich sehr mit Reformen zu beschäftigen scheine. Aber da er doch einmal zum akademischen Lehrer unbrauchbar gemacht sei, so habe er es ausgeschlagen. Und am 25. März (Nr. 62) schreibt er Goethe, der alte Antrag von Tübingen sei mit dem Zusatz erneuert, daß er von allen öffentlichen Functionen dispensiert sein und völlige Freiheit haben solle, ganz nach seinem Sinne auf die Studirenden zu wirken. Sorge um die Zukunft habe ihn veranlaßt an Voigt zu schreiben, vom Herzog eine Versicherung auszuwirken, daß ihm im Falle zunehmender Kränklichkeit sein Gehalt verdoppelt werden solle. Der Brief an Voigt ist vom 26. März (gedruckt im Nachlaß der Wolzogen 2, 472) und erwähnt, daß der Tübinger Antrag „privatim erneuert“ sei. Am 3. April schreibt er an Prof. Abel, daß er ablehne, weil er doch keine akademische Functionen leisten könne und weil ihm der Herzog noch ganz neuerlich erklärt habe, daß sein Gehalt verdoppelt werden solle, wenn er Unterstützung nöthig haben würde. Aus den Briefen von Schillers Vater (Beziehungen S. 137 ff.) erfahren wir, daß Abel „aufgefordert worden“, Schiller zu befragen, ob er einen Ruf nach Tübingen annehmen würde, und daß Schiller zum Ersatz für den Prof. der Geschichte Roesler, einen alten kränklichen Mann, ersehen gewesen. A. v. Keller (Beiträge zur Schillerlit. 1859 S. 55) berichtet, daß sich in den Protokollen der Universität Tübingen so wie in den Acten des geh. Cabinets, des Ministeriums, im Archiv des Innern, im Haus- und Staatsarchiv und im Archiv zu Heilbronn über die Berufung Schillers nach Tübingen durchaus nichts vorfinde und es scheine, als habe Abel lediglich im besondern, vielleicht bloß mündlichen Auftrage des Herzogs gehandelt. *


Bemerkungen

S. 160. Z. 14. ist nach MDM. einzuschalten: Lebe wohl und gieb mir bald wieder Nachricht von Dir. Herzliche Grüße von uns allen an Euch alle.
1 Zu S. 159. Z. 5. Belagerung von Antwerpen. 
2 Zu Z. 9. Körners Aufsatz über Charakterdarstellung in der Musik kam mit Z. an Sch. verbessert zurück. 
3 Zu Z. 12. Herder: Das eigene Schicksal; Engel: Entzückung des Las Casas etc. 
4 Zu Z. 14. Im 5. u. 7. Horenstück erschienen Gedichte von Voß. Die Kompositionen aller 3 Gedichte erschienen im 7. Heft. Einen Brief, in dem Voß sich als Mitarbeiter der Horen antrug, kenne ich nicht. Es wird aber der im Börnerschen Kunst-Auktions-Katalog XLII., 9. Dez. 1886 Leipzig, Nr. 1134 erwähnte Brief vom 18. März 1795 sein.
5 Zu Z. 16. Dalbergs Aufsatz über Kunstschulen nahm Schiller aus Rücksicht auf die Person des Verfassers ins 5. Horenheft auf, setzte aber ausnahmsweise den Autornamen darunter und eine Briefstelle, worin Dalberg bedauerte, daß er durch Berufsgeschäfte verhindert, künftig sich nicht an den Horen beteiligen könnte. Diese Stelle fehlt in den bei Urlichs, Brfe. a. Sch. S. 211. u. 215 veröffentlichten Brieffragmenten Dalbergs an Sch. vom 2. Febr. u. 23. März 1795. 
6 Zu Z. 18. Dora Stock hatte auf Schillers Wunsch sein Portrait von Graf in Pastell kopiert und Anfang März 1795 an Schiller abgesandt. Vgl. ihren Brief an Lotte Schiller vom 16. März, Urlichs, Charl. v. Sch. III. S. 17. 
7 Zu Z. 20. Goethe war vom 29. März bis 2. Mai in Jena. 
8 Zu Z. 23. Sch. hatte noch nicht Körners Brief vom 3. April, in dem er seine Freude über die Ankunft der Büste meldete.