Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena d 19. Janr. [Montag] 95. 

So eben habe ich meine Briefe an Cotta abgesendet, und nicht, ohne Rücksicht auf Deine Bemerkungen genommen zu haben. Was Du von einer gewissen Hastigkeit des Fortschritts sagst, mochte wohl gegründet seyn; aber diesem, so wie auch der allzugroßen Trockenheit des elften und zwölften Briefes, glaube ich größtentheils abgeholfen zu haben: besonders durch öftere Rückkehr zur Anschauung und Erfahrung. Wie viel Deutlichkeit der Aufsatz in seiner jetzigen Gestalt auch für nicht Kantische Leser habe, davon machte ich gestern Abend eine sehr interessante Erfahrung. Ich las ihn Göthen und Meyern, die seit 8 Tagen hier sind, vor und beyde wurden von Anfang an biß hinaus davon fortgerissen, und zwar in einem Grade, wie kaum ein Werk der Beredsamkeit vermag. Du kennst den kalten Meyer, der sonst sehr auf sein Fach begrenzt zu seyn schien; aber hier folgte er dem Faden der Speculation mit einer attention, einer Treue und einem Interesse, das mich ganz überraschte.

Auch der Mißdeutung von Seyn und Erscheinen habe ich wo es nöthig war, vollkommen abgeholfen; wiewohl dieß schon in der Sache selbst hinlänglich bestimmt war. Denn wenn ich sage: „der Mensch ist nur, insofern er sich verändert, so kann der strengste Kantische Rigorist nichts dagegen haben, da der Mensch ja schon kein Noumenon mehr ist.

Dein Urtheil über Humb. Aufsatz unterschreibe ich ganz; nur glaube ich überhaupt in allen Deinen Urtheilen über dergleichen Arbeiten zuviel Rücksicht auf den bequemen Leser, oder doch eine zu gute Meynung von dem Geschmack des jetzigen Publikums zu bemerken, als wohl erlaubt und gegründet sein möchte. Eins von beyden muß seyn: entweder muß man einen vollendeten Geschmack haben, und ein solcher Geschmack verzeyht dem Gehalt schon einigen Mangel der Form, und wer diesen nicht hat, der muß sich einige Anstrengungen gefallen lassen, weil die Form hier immer der Sache nachstehen muß. 

Deinem Aufsatz über die Musik sehe ich mit großem Verlangen entgegen. Auch Göthe ist sehr begierig darauf. 

Seinen Meister wirst Du jetzt wohl schon haben, denn er ist heraus. 

Daß Du die Büste noch nicht hast, rührt davon her, daß der Abguß verunglückt ist. Sie ist aber schon wieder neu abgegossen, und Du wirst sie bald haben. Dannecker will sie Dir gern recht ausgearbeitet senden, und arbeitet noch lange an dem trockenen Abguß, ehe er ihn aus den Händen läßt. 

In 10 Tagen werden die Horen hier, und in 13 Tagen bey Dir seyn. Für Schlegels Aufsatz danke ich recht sehr. Es ist eine recht vortreffliche Acquisition für die Horen. Im 3ten Stücke lasse ich die 1ste Hälfte einrücken. 

Mein Carl ist vor 4 Tagen inoculirt, und ich bin voll unruhiger Erwartung. Die Epidemie ist aber äußerst mild, und er selbst ist im besten Befinden. 

Lebewohl. 

Dein 

Sch


Bemerkungen

1 Zu S. 103. Z. 18. Körners Bemerkungen zu Schs. Briefen über die ästhetische Erziehung im Briefe vom 11. Januar. Schillers Änderungen auf Grund der Körnerschen Bemerkungen kann ich im einzelnen nicht nachweisen.
2 Zu S. 104. Z. 7. Im Brief vom 16. Januar. 
3 Zu Z. 21. Gemeint ist der Abguß der Danneckerschen Schillerbüste. 
4 Zu Z. 26. Schon am 24. Januar trafen die Horen bei Schiller ein. Vgl. Nr. 803. 
5 Zu Z. 27. Schlegels Aufsatz über Dante.