Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, den 29. Dec. [Montag] 94. 

Meinen Glückwunsch zum neuen Jahre, das Dich u. die Deinigen hoffentlich vergnügt gefunden haben wird. Ich muß aber das neue Jahr gleich damit eröfnen, daß ich Dich als Redacteur preße, und in allem Ernst. Denn Du kannst mich durch einen Aufsatz, den Du binnen jetzt und 3 Wochen für die Horen giebst aus einer wirklichen Verlegenheit reissen. Unsrer guten Mitarbeiter sind bey allem Prunk den wir dem Publikum vormachen, wenig; und von diesen guten ist fast die Hälfte für diesen Winter nicht zu rechnen. Ich komme daher in dem ersten Stück in eine gedrängte Lage, weil Göthe und ich fast alles dafür liefern, und leyder Göthe nicht die exquisitesten Sachen, und ich nicht die allgemeinverständlichsten. Göthens Erzählungen u. meine Briefe machen in den ersten Stücken die Maße aus, und jene sind nicht von dem Werth, wie seine übrigen Arbeiten, diese kennst Du. Wir müßen also für eine größere Mannichfaltigkeit an guten Sachen, wenn sie auch gleich gerade nicht zu den popularen gehören, Rath schaffen; und darinn erwarte ich Hülfe von Dir. Göthe will seine Elegien nicht gleich in den ersten Stücken eingerückt, Herder will auch einige Stücke erst abwarten, Fichte ist von Vorlesungen überhäuft, Garve krank, Engel faul, die andern lassen nichts von sich hören. Ich rufe daher: Herr hilf mir, oder ich sinke! 

Lass mich also auf d nächsten Posttag hören, daß ich in der anberaumten Zeit einen Aufsatz, welcher es sey, von Dir zu erwarten habe. Gibst Du mir dieses Versprechen, so sende ich meine aesthet. Briefe um eine Woche später an Cotta, um sie Dir noch im Mscpt. mitzutheilen. – Uebrigens bitte ich Dich, mich zugleich wißen zu lassen, wie bald ich auf Schlegels Aufsatz über Dante rechnen kann, der mir sehr willkommen seyn wird. Kannst Du mir ihn gleich schicken, so kann ich meine Briefe um so ehr noch einige Posttage zurückbehalten, und jenen Aufsatz vorangehen lassen. 

Hir legt Dir Humboldt einen Brief von Biestern bey, des andern Schlegels Angelegenheit betreffend. Sein Aufsatz hätte in meiner Thalia wirklich nicht wohl mehr Raum gehabt, weil Göschen mich bat, das letzte Stück kleiner zu machen. 

Der Dr. Gros, von dem in dem Avertissement die Rede ist, ist der nämliche M. Gros, von dem ich Dir öfters schon geschrieben. Einer der beßten Köpfe und der reichsten Denker, die ich habe kennen lernen. Er studirt gegenwärtig die Jurisprudenz in Göttingen. 

Vom Coadjutor ist vor der Hand nichts zu fürchten, weil er über Zerstreuung nicht zu sich selbst kommen kann. In dem Verhältniß, worin ich mit ihm stehe, mußte ich ihm das Compliment machen.

Die Materien worüber Du schreiben willst, erregen schon im Voraus mein Interesse. Besonders deuten die 2 ersten, über d. Grund des Zweifels und über das Unwillkührliche in d. Begriffen auf eine feine Materie hin. Kannst Du einen von diesen Aufsätzen jetzt ausführen, so wird es mir um so lieber seyn. Sonst würde mir etwas über die Musik das willkommenste seyn. 

In dem ersten Stück findest Du noch einen Aufsatz vom Prof. Meyern aus Weimar (Ideen zu einer künftigen Geschichte d Kunst) den ich noch habe nachschicken müssen, weil das Mscrpt. nicht reichte1. Dieser Aufsatz, den ich in Rücksicht auf Sprache etwas umformen mußte, hat sehr viel Gehalt, und wird Dir Vergnügen machen. Es ist so selten, daß ein Mann wie Meyer das Glück hat in Italien sich umzusehen, oder daß einer, der Italien besucht, Meyers KunstVerstand besitzt. Deßwegen ist eine solche Arbeit kostbar, weil seltene Dinge zusammentreffen müssen, um sie möglich zu machen. 

Humboldts Aufsätze über die Weiber (denn es werden deren mehr:)2 sind kein unbedeutender Beytrag für die Horen. Er behandelt diesen Gegenstand wirklich mit einem großen Sinn, und ich bin überzeugt, daß noch nichts so zusammenhängendes über diesen Gegenstand geschrieben worden ist. Seine Schreibart hat wenigstens Etwas von ihrer Trockenheit und Steifheit verloren, obgleich ihm das alte Uebel noch immer im Wege steht. Ueber den Begriff des Geschlechts und der Zeugung, den er durch die ganze Natur und selbst durch das menschliche Gemüth und die Geistigen Zeugungen des Genies durchführt, ist eine schöne und große Idee. Sobald er fertig ist, soll er Dir ihn schicken. 

Was meine Arbeiten betrifft, so bin ich jetzt ungemein gut mit mir zufrieden. – Mein System nähert sich jetzt einer Reife, und einer innern Consistenz, die ihm Festigkeit und Dauer versichern. Alles hängt aufs beste zusammen, und durch das ganze herrscht eine Simplicität, die sich mir selbst bey der Ausführung durch eine größere Leichtigkeit bemerkbar macht. Alles dreht sich um den Begriff der Wechselwirkung zwischen dem Absoluten und dem endlichen, um die Begriffe von Freiheit und von Zeit, von Thatkraft und Leiden. Doch ich will Dir nicht vorgreifen. 

Lebe recht wohl. Meine Frau grüßt Dich und die Deinigen aufs beßte. Mein kleiner Sohn ist frisch und gesund, und macht die Freude meines Lebens aus. Mir ist, trotz meines ewigen Krampf-Uebels, selten so wohl im Geist und Herzen gewesen. Uebrigens geht es mit meiner Gesundheit erträglich genug, dass ich wenigstens an meiner Thätigkeit keinen großen Abbruch leide. 

               Dein Sch.


1) Der Aufsatz erschien erst im zweiten Hefte, da Fichtes Beitrag noch eingelaufen war. ­
2) Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur (Heft 2); Über männliche und weibliche Form (Heft 3 u. 4); Die Lebenskraft (Heft 5). ­


Bemerkungen

1 Zu S. 90. Z. 26. Körner schickte am 28. Januar seinen Artikel über Musik und vorher schon Schlegels Artikel über Dante.
2 Zu S. 91. Z. 7. Körner hatte geschrieben, daß ihm Dr: Gros unbekannt wäre. Schiller hatte allerdings seiner in Nr. 635 an Körner gedacht, aber ohne den Namen zu nennen. Vgl. zu Nr. 635. 
3 Zu Z. 12. Körner hatte geschrieben, den Coadjutor halte er für einen gefährlichen Mitarbeiter. 
4 Zu Z. 18. Diese Aufsätze Körners blieben ungeschrieben. 
5 Zu Z. 27. Das Urteil über Meyer fast wörtlich ebenso in Nr. 793. 
6 Zu Z. 32. Gemeint sind W. v. Humboldts Aufsätze über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur und über die männliche und weibliche Form, die im 2., 3. u. 4. Stück der Horen 1795 erschienen.