Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena den 25. Octb. [Sonnabend] 94.

Ich habe auf meinen ersten philosophirenden Brief an Göthe noch nicht die Antwort, die erst in einigen Tagen versprochen ist, sonst würde ich Dir meinen und seinen Brief schon heute beylegen. Ich will Dir lieber die Sachen selbst schicken, als aufs neue darüber schreiben, weil ich sonst aus diesem Gedankenkreis gar nicht herauskomme. In meinen Briefen an ihn wirst Du dann auch das wichtigste von unseren neulichen Unterredungen, ästhet. Dinge betreffend, finden, weil ich mich mehrmals darauf beziehe. 

Ueber seinen Satz, in dem Aufsatze den ich Dir schickte, daß wir Thiere schön nennen, denen neben Befriedigung des Nothwendigen noch Kraft zu willkührlichen Handlungen übrig bleibe, merke ich nur dieß einzige an. Obgleich durch dieses Kennzeichen der Begriff des Schönen noch gar nicht bestimmt wird, so stimmt es doch gewiß damit überein. Das Kameel und der Esel haben überflüssige Masse, aber nicht Ueberfluß der Kraft; vielmehr müssen wir, beym Kameel besonders, diesen Ueberfluß als eine Hinderung der Kraft häßlich finden. Es ist gewiß nicht unbedeutend, den Ueberfluß, sobald er den Zweck nicht einschränkt oder die Kraft nicht hindert, als ein Element des Schönen anzunehmen; und mir scheint, daß man aus dem innersten Wesen der Schönheit auf diese Bemerkung geführt werden muß. Die Schönheit ist ein Effekt der Einbildungskraft, oder wenn Du willst, ein Object derselben. Wenn etwas intellektuelles oder überhaupt vernunftmäßiges schön werden soll, so muß es erst sinnlich und ein Gegenstand der Einbildungskraft werden. Von der Einbildungskraft aber wissen wir, daß sie allen ihren Vorstellungen sinnliche Vollständigkeit, materielle Totalität zu verschaffen sucht. Der Verstand braucht aber von einer Vorstellung der Einbildungskraft nicht alle Theile, nicht das Ganze mannichfaltige. Sie giebt ihm also mehr als er braucht, und gerade dadurch entsteht die Schönheit. Jede ihrer Vorstellungen ist durchgängig bestimmt, und diese durchgängige Bestimmtheit ist ein Ueberfluß für den Verstand. – Daß dieser Ueberfluß aber eine Conditio sine qua non der Schönheit sey, können wir daraus abnehmen, daß ein Gleichniß z. B. seine Schönheit ganz verliert, wenn man es dieses Ueberflusses beraubt, wenn man das individuelle allgemeiner ausdrückt, und die Punkte der Aehnlichkeit mit technischer Genauigkeit andeutet. 

Meine Resultate über die Schönheit gewinnen nun bald eine sehr gute Uebereinstimmung. Davon bin ich nun überzeugt, daß alle Mißhelligkeiten, die zwischen uns und unsers Gleichen, die doch sonst im Empfinden und in Grundsätzen so ziemlich einige sind, darüber entstehen, bloß davon herrühren, daß wir einen empirischen Begriff von Schönheit zum Grunde legen, der doch nicht vorhanden ist. Wir mußten nothwendig jede unsrer Vorstellungen davon mit der Erfahrung im Widerstreite finden, weil die Erfahrung eigentlich die Idee des Schönen gar nicht darstellt, oder vielmehr, weil das, was man gewöhnlich als schön empfindet, gar nicht das Schöne ist. Das Schöne ist kein Erfahrungsbegriff, sondern vielmehr ein Imperatif. Es ist gewiß objektiv, aber bloß als eine nothwendige Aufgabe für die sinnliche vernünftige Natur; in der wirklichen Erfahrung aber bleibt sie gewöhnlich unerfüllt, und ein Objekt mag noch so schön seyn, so macht es entweder der vorgreifende Verstand augenblicklich zu einem vollkommenen, oder der vorgreifende Sinn zu einem bloß angenehmen. Es ist etwas völlig subjectives, ob wir das Schöne als schön empfinden; aber objektiv sollte es so seyn. 

Ich weiß nicht, ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe: ich werde aber an einem andern Orte ausführlicher darüber seyn. Schicke mir das Mscrpt von Göthe wieder, ich habe keine Abschrift davon. Mein erster Beytrag zu den Horen, der Anfang meiner Briefe1, ist schon an Göthe abgegeben. Ich hätte Dir das Mscrpt zuerst geschickt, wenn nicht dadurch ein Auffenthalt entstanden wäre. Hoffentlich aber erhalte ich sie in wenigen Tagen zurück. Ich bin sehr gut mit diesem Anfang zufrieden, und ich auguriere, daß auch Du es seyn wirst. Möchtest Du nur auch bald etwas liefern, daß ich Dich wenigstens gleich in dem zweyten Stücke, welches sogleich nachfolgt, gedruckt sehen könnte. Von der Thalia erscheinen noch 2 Stücke: eines ist schon ganz abgedruckt, und das andere ist besetzt, so daß ich Schlegels Aufsatz nicht mehr placieren kann. Er wird aber im Merkur wohl unterkommen können2. Seinen Aufsatz habe ich bey Humbold gelesen, aber, ob ich gleich die Idee nicht wegwerfen will, so hat mich seine Erklärung und Ausführung wenigstens nicht ganz befriedigt, und ich finde noch viel willkührliches darin. 

Pindar hat mir nie behagen wollen, und mein erstes Gefühl empörte sich auch gegen diese Wegwerfung des Genies. Bei Danneckern will ich sondieren, zweifle aber, daß er sein Vaterland verlassen wird: theils wegen einer sehr zahlreichen Verwandtschaft, die ihn dort fesselt; theils weil er sich bedenken wird, den Schein der Undankbarkeit gegen das herzogliche Haus, dem er seine ganze Bildung zu danken hat, auf sich zu laden. 

Lebe wohl für heute. Herzlichen Gruß an alle. 

               D. 

Sch.


1) Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. Horen 1795 St. I. S. 7-48. Das Manuscript war am 20. an Goethe gesandt, vgl. Briefwechsel No. 19. ­
2) Der Merkur enthält 1794-95 nichts der Art von Fr. oder A. W. Schlegel. ­


Bemerkungen

1 Zu S. 43. Z. 11. Vgl. zu Nr. 756.
2 Zu S. 45. Z. 6. Vgl. Nr. 757. 
3 Zu Z. 24. Bezieht sich auf den Plan Körners, Dannecker in Dresden eine Anstellung zu verschaffen.