Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christian Garve

Jena, den 1. October [Mittwoch] 1794.

Die freundschaftlichen Gesinnungen, die in Ihrem Briefe athmen, und die wahre Sprache des Herzens, die in demselben nicht zu verkennen ist, haben mich höchlich erfreut, und von ganzen Herzen stimme ich in den Ton ein, den Sie für unser künftiges Verhältniß darin festgesetzt haben. Ja mein vortreflicher Freund, laßen Sie uns einander von nun an nicht aus den Augen verlieren, und betrachten Sie mich als einen alten Gefährten auf dem Wege zur Wahrheit, auf dem man nicht genug Gesellschaft finden kann, und doch oft so vergeblich sucht. 

Ich möchte gleich jetzt von diesem vertraulichen Verhältniß, das Sie mir erlauben, Gebrauch machen, und fragen, mit welcher Materie Sie Sich jetzt beschäftigen? Das Gebiet, worinn Sie wirken und am liebsten verweilen, ich meyne die durch philosophischen Geist beleuchteten moralischen WeltErscheinungen sind so mannichfaltig und unerschöpflich, daß sie sich unter den Händen des Forschers eher vervielfältigen, als vermindern. Ich habe in Ihren versuchen über verschiedene Gegenstände aus der Moral etc. aufs neue Gelegenheit gehabt, das schöne philosophische Licht zu bewundern, das Sie selbst über solche Gegenstände zu verbreiten wußten, die der Willkühr allein ihren Ursprung und ihre Form zu verdanken schienen. Ihre Betrachtungen über die Stelle von Rochefoucauld sind gewiß das Gedachteste, was je über diesen Gegenstand mag gesagt oder geschrieben worden seyn. Ich erwähne hier deßwegen dieses Aufsatzes ins besondere, weil er einer Arbeit, mit der ich mich seit einiger Zeit beschäftige, ziemlich nahe liegt, und mich gewißermaßen zu Ihrem Nachbar in diesem Fache macht. Ich habe nehmlich den Versuch gemacht, in einem Aufsatze über den aesthetischen Umgang den Grundsatz der Schönheit auf die Gesellschaft anzuwenden, und den Umgang als ein Objekt der schönen Kunst zu betrachten. Da ich auf diesem Wege natürlicherweise darauf geführt werde, den sogenannten guten Ton, wie ihn Zeiten und Verhältniße eingeführt haben, nach objectiven Principien des Geschmacks zu beurtheilen, so komme ich Ihnen sehr nahe, obgleich unsre beiden Felder nicht ineinander laufen. Aber es freute mich unendlich, zu sehen, daß meine Ideen über diese zarten und delikaten Phänomene, den Ihrigen begegnen, und daß wir in den Hauptpunkten sicher einverstanden sind. 

Es ist noch eine Materie, die ich von Ihnen vorzugsweise beleuchtet wünschte, das Verhältniß des Schriftstellers zu dem Publikum und des Publikums zu dem Schriftsteller. In unsern Zeiten, wo ein so großer Theil der Menschen seine eigentliche Erziehung durch Lecture bekommt, und wo ein anderer nicht unbeträchtlicher Theil sich diese Erziehung durch Schriften zum Geschäft seines Lebens macht, scheint es mir eben so interessant als zweckmäßig das Innere dieses wechselseitigen Verhältnißes aufzudecken, die Folgen die es für beide Theile hat, anthropologisch zu entwickeln, und es wo möglich, durch ein aufgestelltes Ideal von dem, was es für beyde Theile sein könnte und sollte, zu reinigen und zu veredeln. Vielleicht sind Sie nicht abgeneigt, diese Materie einmal Ihrer nähern Prüfung zu unterwerfen. 

Ich will Ihnen bey dieser Gelegenheit auch melden, daß unser Journal nun gewiß zu Stande kommt, und alle Umstände sich zu Begünstigung desselben vereiniget haben. Es sind bereits 16 bekannte und gute Schriftsteller demselben beygetreten, und versprechen den thätigsten Antheil. Darf ich mir Hofnung machen, daß wir etwa in einem der ersten drey Monathstücken etwas von Ihrer Feder erhalten. Sie werden dadurch unsre ganze Gesellschaft höchlich verbinden, am meisten aber 

         Ihren 
                  herzlich ergebenen und Sie innig 
                           verehrenden Freund 

F. Schiller.


Bemerkungen

1 Zu S. 28. Z. 12. Garve: Über die Maxime Rochefoucaults: das bürgerliche Air verliert sich zuweilen bey der Armee, niemahls am Hofe. Vgl. Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Breslau 1792-1802. Vgl. auch zu Nr. 735.