Friedrich SchillerFriedrich Schiller

An Wolfgang von Goethe

Jena den 12. September 1794.

  Sie haben mir, vom 14ten an, einen Tag zu bestimmen überlassen. Ich werde also, mit Ihrer Erlaubniß, Sonntag Nachmittag bei Ihnen eintreffen, weil ich so wenig als möglich von dem Vergnügen, das Sie mir bereiten, verlieren möchte. Herr v. Humboldt, den Ihre Einladung sehr erfreut, wird mich begleiten, um einige Stunden mit Ihnen zu verleben.
  Ramdohr war vor einigen Tagen hier, und hat sich wahrscheinlich auch bei Ihnen gemeldet. Wie er mir sagt, schreibt er jetzt an einem Buch über die L i e b e, worin bewiesen sein wird, daß reine Liebe nur bei den Griechen statt gefunden habe. Seine Ideen über Schönheit holt er ziemlich tief von unten herauf, denn er ruft dabei den Geschlechtstrieb zu Hülfe.
  Die englische Iphigenia erfreute mich sehr. So viel ich davon urtheilen kann, paßt diese fremde Kleidung ihr gut an, und man wird lebhaft an die große Verwandtschaft beider Sprachen erinnert.
  Friedrich Jacobi will mit an den Horen arbeiten, welches unsern Kreis auf eine angenehme Art1 erweitert. Mir ist er ein sehr interessantes Individuum, obgleich ich gestehen muß, daß ich mir seine Producte nicht assimiliren kann.
  Charis ist hier nirgends zu bekommen, aber eine Abhandlung von Maimon über den Schönheitsbegriff, die lesenswerth ist, will ich mitbringen.
  Meine Frau trägt mir auf, Ihnen recht viel freundschaftliches zu sagen. Ich sende ihr die englische Iphigenia, was ihr große Freude machen wird.

Schiller.

 


 

1 Art] Weise.

 


 

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